DIE STOCKHOLMER AUSSTELLUNG 1909
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Anstalt macht?JiWie, wenn der Zufall oder andere Um-
stände es gewollt hätten, daß sich nur wenige Talentierte
zur Aufnahme gemeldet hätten und daher das künstlerische
Niveau kein hohes hätte werden können? (Erfreulicher-
weise trifft dies hier nicht zu, denn die Arbeiten stehen
mindestens über dem üblichen Durchschnitt von Schüler-
leistungen.) Überhaupt ist es eine eigene Sache, Schüler-
arbeiten auszustellen und zu beurteilen, die doch nicht für
die öffentliche Kritik, sondern nur geschaffen wurden, um
im Stillen einem beschränkten Ziele zuzustreben; denen
noch das heiße Bemühen und Sehnen zum Unerreichten
anhaftet. Wollte man
solche unvollkomme-
ne Studien für sich
allein kritisieren, so
würde man entweder
den Schülern den Mut
nehmen oder sie zur
vorzeitigen Überhe-
bung verführen. Man
muß in den ausge-
stellten Zeichnungen
also nicht Arbeiten
der Schüler, sondern
die Arbeit der Schule
sehen. Die Schule ist
es, die Rechenschaft
abzulegen hat, ob ihr
Programm und ihre
Methode gut seien, ob
sie geeignete Lehr-
kräfte an richtiger
Stelle verwende. Ge-
niale und hervorra-
gend talentierte Schü-
ler zu garantieren, das
kann man keiner Lehr-
anstalt zumuten, da
doch jede auf die
Anmeldungen ange-
wiesen ist und im
besten Falle indirekt,
d.h. durch ihren »Ruf«,
auf deren Zahl und
Qualität einwirken
kann. Wohl aber muß
man von jeder Unter-
richtsanstalt verlan-
gen, daß sie aus den
ihr anvertrauten Schü-
lern das Beste ent-
wickle, keinen Keim
. verkümmern lasse
aber auch keinen zu
vorzeitiger, verderblicher Blüte treibe.
o Also muß die Prüfung einer Schülerausstellung in
dieser Stufenfolge geschehen: Ist das Programm klar und
konsequent aufgestellt? Hat es theoretisch Aussicht, er-
folgreich durchgeführt werden zu können? Welches sind
die Lehrkräfte, und trägt ihr Unterricht zur Durchführung
des Schulprogramms bei? Welche Vor- und Nachteile des
Schulprogramms oder der Lehrtätigkeit sind aus den vor-
geführten Schülerarbeiten mit Sicherheit zu erkennen? d
° Die Kunstgewerbeschulen haben die Bestimmung, den
Bedarf der Industrie und des Kunsthandwerks an künstle-
rischen Hilfskräften zu decken. (Daneben bringen sie auch
selbständig tätige Künstler hervor; es ist aber wohl
besser, dies nicht von vornherein zu beabsichtigen, um
AGNES BRANTINO:
AUSGEFÜHRT IM
alles Gewaltsame zu vermeiden.) Manche Schulen nehmen
jenen »Bedarf« so hin, wie sie ihn vorfinden und be-
schränken sich darauf, ihn in qualitativer und technischer
Hinsicht auf seiner Höhe zu halten. Jeder soll nach seinem
Vermögen handeln, aber von der ersten Anstalt der Reichs-
hauptstadt darf man es wohl verlangen, daß sie der bis-
herigen Tendenz der Fabrikanten, das künstlerische Niveau
darnieder zu halten, erzieherisch entgegenwirke. Den Pro-
duzenten zu belehren, den Konsumenten aufzuklären, ist
nicht ihre Aufgabe, sondern die der tonangebenden Künstler,
der Ästheten und Schriftsteller; sie muß wirken, indem sie
Pioniere, »Propagan-
disten der Tat« in die
Werkstätten der Kunst
selbst entsendet. Bis
vor kurzem noch stand
aber auch diese An-
stalt, wie wohl alle an-
deren, unter dem Ein-
fluß des Fabrikanten,
der die künstlerische
Mode vorschrieb. Daß
dieser solche Macht
an sich gerissen hatte,
kann ihm kein Mensch
verdenken, denn sie
wurde ihm durch die
Kunstwissenschaft
und den Idealismus
der Kunstgewerbe-
museen ja geradezu
in die Hände gespielt.
Diese beiden lieferten
ihm die geeigneten
Stiltypen und über-
hoben ihn jeglicher
Mühe, sich selbst um
die Schöpfung geeig-
neterFormen für seine
Fabrikationsobjekte
zu bemühen. Er konnte
einfach nachmachen,
was von früheren Zei-
ten schon da war;
wenn er es nur un-
ter kunstwissenschaft-
licher Beglaubigung
tat, so war alles recht.
Er fühlte sich bald
nicht mehr als Ver-
mittler, sondern als
kaufmännischer Herr-
scher im Reiche der
Künste. Sobald er
eine Anzahl alter Stücke nachgebildet hatte, durfte er
daran gehen, das einzelne Modell nach Kräften auszu-
nutzen, das heißt, es unter Beibehaltung seiner gegebenen
äußeren,Form immer wieder als neues Muster auf den
Markt zu bringen. Die hierfür notwendige Variation bot
sich und geschah in fortwährender Abänderung des »orna-
mentalen Schmucks«. Daß dieser bei den Originalen einen
wesentlichen, krönenden und untrennbaren organischen
Bestandteil der ganzen künstlerischen Schöpfung bildete,
war dem Fabrikanten ganz einerlei. Er entfernte ihn ein-
fach und »paßte- einen anderen hinein; was nicht paßte,
wurde passend gemacht. Erst wenn die Modelle ganz zu
Tode gehetzt und ein »Stil« vollkommen abgegrast war,
kam ein anderer Stil mit neuen Modellen an die Reihe -
GESTICKTE POLSTER
INSTITUT »LICIUM«
35
Anstalt macht?JiWie, wenn der Zufall oder andere Um-
stände es gewollt hätten, daß sich nur wenige Talentierte
zur Aufnahme gemeldet hätten und daher das künstlerische
Niveau kein hohes hätte werden können? (Erfreulicher-
weise trifft dies hier nicht zu, denn die Arbeiten stehen
mindestens über dem üblichen Durchschnitt von Schüler-
leistungen.) Überhaupt ist es eine eigene Sache, Schüler-
arbeiten auszustellen und zu beurteilen, die doch nicht für
die öffentliche Kritik, sondern nur geschaffen wurden, um
im Stillen einem beschränkten Ziele zuzustreben; denen
noch das heiße Bemühen und Sehnen zum Unerreichten
anhaftet. Wollte man
solche unvollkomme-
ne Studien für sich
allein kritisieren, so
würde man entweder
den Schülern den Mut
nehmen oder sie zur
vorzeitigen Überhe-
bung verführen. Man
muß in den ausge-
stellten Zeichnungen
also nicht Arbeiten
der Schüler, sondern
die Arbeit der Schule
sehen. Die Schule ist
es, die Rechenschaft
abzulegen hat, ob ihr
Programm und ihre
Methode gut seien, ob
sie geeignete Lehr-
kräfte an richtiger
Stelle verwende. Ge-
niale und hervorra-
gend talentierte Schü-
ler zu garantieren, das
kann man keiner Lehr-
anstalt zumuten, da
doch jede auf die
Anmeldungen ange-
wiesen ist und im
besten Falle indirekt,
d.h. durch ihren »Ruf«,
auf deren Zahl und
Qualität einwirken
kann. Wohl aber muß
man von jeder Unter-
richtsanstalt verlan-
gen, daß sie aus den
ihr anvertrauten Schü-
lern das Beste ent-
wickle, keinen Keim
. verkümmern lasse
aber auch keinen zu
vorzeitiger, verderblicher Blüte treibe.
o Also muß die Prüfung einer Schülerausstellung in
dieser Stufenfolge geschehen: Ist das Programm klar und
konsequent aufgestellt? Hat es theoretisch Aussicht, er-
folgreich durchgeführt werden zu können? Welches sind
die Lehrkräfte, und trägt ihr Unterricht zur Durchführung
des Schulprogramms bei? Welche Vor- und Nachteile des
Schulprogramms oder der Lehrtätigkeit sind aus den vor-
geführten Schülerarbeiten mit Sicherheit zu erkennen? d
° Die Kunstgewerbeschulen haben die Bestimmung, den
Bedarf der Industrie und des Kunsthandwerks an künstle-
rischen Hilfskräften zu decken. (Daneben bringen sie auch
selbständig tätige Künstler hervor; es ist aber wohl
besser, dies nicht von vornherein zu beabsichtigen, um
AGNES BRANTINO:
AUSGEFÜHRT IM
alles Gewaltsame zu vermeiden.) Manche Schulen nehmen
jenen »Bedarf« so hin, wie sie ihn vorfinden und be-
schränken sich darauf, ihn in qualitativer und technischer
Hinsicht auf seiner Höhe zu halten. Jeder soll nach seinem
Vermögen handeln, aber von der ersten Anstalt der Reichs-
hauptstadt darf man es wohl verlangen, daß sie der bis-
herigen Tendenz der Fabrikanten, das künstlerische Niveau
darnieder zu halten, erzieherisch entgegenwirke. Den Pro-
duzenten zu belehren, den Konsumenten aufzuklären, ist
nicht ihre Aufgabe, sondern die der tonangebenden Künstler,
der Ästheten und Schriftsteller; sie muß wirken, indem sie
Pioniere, »Propagan-
disten der Tat« in die
Werkstätten der Kunst
selbst entsendet. Bis
vor kurzem noch stand
aber auch diese An-
stalt, wie wohl alle an-
deren, unter dem Ein-
fluß des Fabrikanten,
der die künstlerische
Mode vorschrieb. Daß
dieser solche Macht
an sich gerissen hatte,
kann ihm kein Mensch
verdenken, denn sie
wurde ihm durch die
Kunstwissenschaft
und den Idealismus
der Kunstgewerbe-
museen ja geradezu
in die Hände gespielt.
Diese beiden lieferten
ihm die geeigneten
Stiltypen und über-
hoben ihn jeglicher
Mühe, sich selbst um
die Schöpfung geeig-
neterFormen für seine
Fabrikationsobjekte
zu bemühen. Er konnte
einfach nachmachen,
was von früheren Zei-
ten schon da war;
wenn er es nur un-
ter kunstwissenschaft-
licher Beglaubigung
tat, so war alles recht.
Er fühlte sich bald
nicht mehr als Ver-
mittler, sondern als
kaufmännischer Herr-
scher im Reiche der
Künste. Sobald er
eine Anzahl alter Stücke nachgebildet hatte, durfte er
daran gehen, das einzelne Modell nach Kräften auszu-
nutzen, das heißt, es unter Beibehaltung seiner gegebenen
äußeren,Form immer wieder als neues Muster auf den
Markt zu bringen. Die hierfür notwendige Variation bot
sich und geschah in fortwährender Abänderung des »orna-
mentalen Schmucks«. Daß dieser bei den Originalen einen
wesentlichen, krönenden und untrennbaren organischen
Bestandteil der ganzen künstlerischen Schöpfung bildete,
war dem Fabrikanten ganz einerlei. Er entfernte ihn ein-
fach und »paßte- einen anderen hinein; was nicht paßte,
wurde passend gemacht. Erst wenn die Modelle ganz zu
Tode gehetzt und ein »Stil« vollkommen abgegrast war,
kam ein anderer Stil mit neuen Modellen an die Reihe -
GESTICKTE POLSTER
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