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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 21.1910

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Kunstgewerbliche Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.4873#0046

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DIE STOCKHOLMER AUSSTELLUNG 1909



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ihnen reich genug erscheinenden Verzierungen für eine
widere Technik umzeichnen oder ergänzen. Bald durften
sie triumphieren: es ist erreicht! Das reichste Goldprunk-
getal der Tafel Ludwigs XIV. konnte der verehrlichen
Kundschaft als blecherner Nachttopf, mit denselben stilge-
iunten \ erzwungen, geboten werden. So kam die Masse
m"! Fabrikbetrieben tätigen Musterzeichner auf den

u.lltahrigen Tiefstand, auf dem sie sich größtenteils zurzeit
och befindet (Selbstverständlich trifft diese Schilderung
nui den Durchschnitt der kunstgewerblichen Fabrikanten.)
o Keiner braucht Angeklagter zu sein, keiner darf den
Klager spielen! Keiner maße sich an, aus sich heraus
eine Änderung dieses entwürdigenden Zustandes herbei-
geführt zu haben, wenn er auch zu seinem Teil tapfer zur
besseren Aufhellung beigetragen hat und beiträgt. Bessernd
hat hier allein die Entwicklung der Nation zur sozialen
Vernunft gewirkt, die politisch, wirtschaftlich und künstle-
risch den falschen Prunk, die blamable Überhebung und
die lacherliche Stilmaskerade gründlich verachten gelehrt
hat. Seien wir doch recht, recht bescheiden, um nicht
wieder in die Stickluft unfruchtbarer Eitelkeit zurückzu-
sinken! Bemühen wir uns, so sachlich als möglich zu
werden und zunächst das Wesentliche an den Dingen zu
erkennen und herauszuheben! □

j» Dieses Bestreben bemerken wir als erfreulichen Haupt-
bestandteil der Lehrtätigkeit Bruno Pauls und seiner Lehrer.

Kunstgewcrbeblatt. N. F. XXI. H. 2

Pauls eigene Künstlerschaft hat vielleicht ihre Grenzen,
aber wir dürfen es doch seiner vorgesetzten Behörde als
genialen Scharfblick anrechnen, daß sie gerade diesen
Künstler, einen unserer sichersten impressionistischen
Zeichner, zur Ausbildung gewerblicher Künstler berief, in
einem Zeitpunkt, in dem der Stilproduktion ihr letzter Rest
der Befähigung, das Wesentliche der Form und Erschei-
nung zu erkennen, abhanden gekommen war. Wir haben
es im Heft 8 des vorigen Jahrgangs mit einigen Worten
zu erklären versucht, wie Bruno Paul auch als Möbel- und
Innenarchitekt in seinen Raumschöpfungen jene impressio-
nistische Treffsicherheit beweist, die er früher nur als
Zeichner und Maler der »hohen Kunst geübt hatte. Aber
auch hier ist der Impressionismus als technisches Symptom
des Fortschritts nicht das Verdienst eines Einzelnen, son-
dern die notwendige Folge der oben geschilderten sozialen
Erkenntnis. Es ist längst}bewiesen und läßt sich immer
wieder beweisen, daß für jeden Fortschritt des Menschen-
geschlechts, sobald er sich einmal genügend vorbereitet
hat und notwendig geworden ist, Technik, Material, Vor-
bilder und führende und ausführende Männer wie von
selbst sich einfinden. Der Fortschritt ist eben keine Sache
für sich, sondern eine Veränderung im gesamten Fühlen,
Denken und Handeln, die in den genannten Dingen und
Menschen, als Frucht des von vielen Seilen zusammenge-
tragenen Samens, still herangereift ist. d
 
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