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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 21.1910

DOI Artikel:
Felger, Friedrich: Kunstgewerbliches Leben in Württemberg
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https://doi.org/10.11588/diglit.4873#0053

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WÜRTTEMBERGER KUNSTGEWERBEVEREIN







Seine Veranstaltungen für kunstgewerbliche Ausstellungen
zeigen ein fast sprühendes Tempo. Jede dieser Ausstel-
lungen offenbart die ausgezeichnete Veranlagung Pazaureks
für das Betonen leitender Ideen in Verbindung mit haar-
scharfer Logik. Unter seinen zahlreichen und mit Erfolg
begleiteten Bestrebungen gilt es besonders auf seine be-
kannte Ausstellung »kunstgewerblicher Geschmacklosig-
keiten zu verweisen, eine fast erschütternde Sammlung
von »Gegenbeispielen«. Diese geistvoll - ironische Aus-
stellung erfuhr nicht nur im Reiche, sondern auch im Aus-
land, namentlich in der nordamerikanischen und franzö-
sischen Presse starkes Interesse. Wichtigen Wanderaus-
stellungen gegenüber zeigt Pazaurek das Bestreben, solche
Veranstaltungen für Stuttgart in erster Stelle zu gewinnen.
Die Ausstellungen in Stuttgart beginnen dadurch aktuell
zu werden. Zu erwähnen wäre noch die Ausstellung:
»Dreierlei Rokoko«, die dem originalen Rokoko zwei Pe-
rioden der Imitation gegenüberstellt und in der Anlage
dieselbe Tendenz zeigt, wie die Ausstellung der »Ge-
schmacklosigkeiten«. °

-TB

M.J. Oradl, Stuttgart, Vitrine in nebenstehendem Salon,
ausgeführt von E. Epplc & Ege, Stuttgart

d Eine weitere recht interessante Stuttgarter Tat ist noch
zu verzeichnen: Die Altstadt-Sanierung, als deren ideeller
Urheber und praktischer Durchführer der »Verein für das
Wohl der arbeitenden Klassen« genannt werden muß.
Baurat Hengerer hat die Aufgabe künstlerisch bewältigt,
eine gemischte Kommission, in der der genannte Verein,
die Stadt Stuttgart und als Städtebauer geschätzte Archi-
tekten vertreten waren, wachte über den gesamten Plan.
In der Baugeschichte Stuttgarts gibt es dadurch auch ein
Kapitel über Städteästhetik im Sinne Theodor Fischers oder
Schultze-Naumburgs. Im übrigen muß man diese Altstadt
mit eigenen Augen gesehen haben, um mit einem ge-
wissen Wohlbehagen sein Urteil über sie abgeben zu
können. Man nimmt da Platzwirkungen wahr, wie sie in-
timer und feiner nimmermehr durch von Papierentwürfen
angekränkelten Architekten draußen auf den Bauplätzen
unserer Zeit auch nur annähernd nachempfunden werden
können. Die formenreiche Altstadt wird mit ihren trauten
Platz- und Straßenbildern das Schmuckkästchen Stuttgarts
werden. Diese Tat erregte manches Interesse und erfuhr
namentlich den Beifall einer Straßburger Kommission. □

□ Wer die außerordentlich schöne Lage Stuttgarts kennt,
hat die Empfindung, es müsse an den Rebenhängen und
Panoramastraßen der Peripherie sich ein feiner Villenstil
kultivieren lassen. Seit neuerer Zeit ist dies auch tatsäch-
lich der Fall. Der segensreiche Einfluß Th. Fischers ist
hier unverkennbar. Es entstanden auserlesene Schmuck-
städte von Zweckmäßigkeit und klarer Gestaltung. □

□ Außerdem sind noch namhafte Bauten zur Ausführung
gekommen. An Stelle der alten Legionskaserne ist ein
schmucker Baukomplex im Entstehen begriffen, der soge-
nannte »Wilhelmsbau«. Der fertiggestellte Teil verrät als
Architekturbild eine gewisse Dürftigkeit. Die Innen-
architektur sucht diesen Mangel durch raffinierte Behand-
lung des Materials und eine ausgesprochen moderne Note
auszugleichen. □
d Es liegen im Bauprogramm der schwäbischen Zen-
trale noch manche Aufgaben vor. Stuttgart wird dadurch
sehr gewinnen. Das kunstgewerbliche Leben wird neue
Blüten ansetzen. 0
d Die Bemühungen Stuttgarts, als Kunststadt in die
Reihe der selbständig vorgehenden Städte zu gelangen,
werden erst dann eine gewisse Weihe erfahren, wenn es
im Besitz eines Kunstausstellungsgebäudes sein wird.
Dessen große Bedeutung für die hiesige Künstlerwelt, die
schon eine Reihe bestbekannter Namen aufweist, läßt jetzt
schon die Hoffnung aufkommen, daß dieses Gebäude ein
Brennpunkt geistig-künstlerischen Lebens in Stuttgart sein
wird. Es wird an Stelle des alten Theaterplatzes erstehen,
ein monumentaler Bau mit Ausstellungs- und Festräumen,
Terrassen, Läden und Restaurant. Die Bauleitung ist Prof.
Th. Fischer übertragen. □
d Auch die lange schwebende Hoftheaterfrage ist nun
zur Entscheidung gebracht worden. Am oberen Anlagen-
see wird der Littmannsche Entwurf zur Austührung ge-
langen. Es ist ein imposanter, ausgeglichener Bau im
Geiste des begabten Spezialisten Littmann-München vor-
gesehen. Neben der äußeren Wirkung kommt noch be-
sonders die eminent praktische Lösung des erfahrenen
Architekten in Betracht. °
a Der Bahnhofumbau ist ebenfalls in den Vordergrund
gerückt und wird sich gewiß zu einer sehr modernen Auf-
gabe gestalten, wobei sich moderne Technik und die an-
gewandte Kunst die Hände reichen werden. □
n Ein eigenes Kapitel würden die Stuttgarter Kirchen-
bauten der letzten Jahrzehnte verlangen. Es ist darin sehr
viel getan worden. Man ist im Kirchenbau in eine ge-
wisse Erschöpfung hineingeraten. Unter der längeren
 
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