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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 21.1910

DOI Artikel:
Pazaurek, Gustav E.: Schwatzhaftes Kunsthandwerk
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https://doi.org/10.11588/diglit.4873#0060

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WÜRTTEMBERGER KUNSTGEWERBEVEREIN



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Bernhard Pankok, Stuttgart, Hölzerne Dosen, gedrechselt und gefräst in den Kgl. Lehr- und Vcrsuchswerkstä'tten in Stuttgart

Frühstück. Auf der Brotbüchse ist zu lesen »Unser
tägliches Brot gib uns heute«. Die Marmeladedose
ruft uns zu: »Erst prob's, dann lob's«, während die
Cakesbüchse in Glasmalerei versichert, daß »die Be-
scheidenheit eine Zier« ist. Warum hat man den
altbackenen Knusperchen nicht gleich das Motto »O
rühret, rühret nicht daran« gegeben? Den ganzen
Tag stoßen wir auf Objekte mit »sinnigen« Geleit-
worten: das Diaphanie-Glasfenster mit dem Rosen-
strauß mahnt uns »Pflücket die Rose, eh' sie ver-
blüht«, der Aschenbecher deklamiert »Kommt Zeit,
kommt Rat« (was aber auch, da keine Interpunktion
hinzugefügt wird, somit der Anfang nicht feststeht,
gelesen werden kann: Kommt Rat, kommt Zeit), die
Brieftasche lispelt »Seid umschlungen, Millionen« und
zuletzt kommt etwa noch der Stiefelknecht mit dem
elegischen »Behüt dich Gott«, nachdem irgend ein
mechanisches Musikwerk womöglich noch nach zehn
Uhr abends die faustdicke Lüge auftischt »Böse Men-
schen haben keine Lieder«. n
ü Ist es wirklich notwendig, daß ein jeder Gegen-
stand in unserer Umgebung sich beständig mit seinem
Namen vorstellt oder irgend ein Sprüchlein hersagt?
Ein Notizbüchlein wird man wohl als solches auch
erkennen, wenn es nicht den Aufdruck »Notes trägt,
ebenso wie ein Zigarettenetui wohl schon nach seiner
Form agnosziert werden dürfe, ob es nun seine Be-
stimmung auch in einer Gravierung versichert oder
nicht. Wie viele Dinge tragen in allen Techniken
die Aufschriften »Zur Erinnerung«, »Aus Liebe«, in

älterer Zeit auch »Souvenir« oder Pensee ä moi<
— auch als Stiefmütterchen-Rebus — und ähnliches;
wenn uns der Geschenkgeber der verschiedenen
Tassen, Gläser, Kassetten, Mappen und dergl. lieb
und wert ist, sind solche Zaunpfahlwinke gewiß über-
flüssig; im entgegengesetzten Falle strengen sie sich
vergeblich an. D

d Namentlich wenn die Worte gewiß oder höchst-
wahrscheinlich eine Unwahrheit enthalten, hätte man
sie sich füglich sparen können. »Zum Zeichen, daß
ich dein gedacht — hab ich dir dieses mitgebracht.«
Wie oft ist derlei auf allerhand Fremdenindustrie-
Artikeln zu lesen, von denen man doch weiß, daß
sie der Käufer auch im erstbesten Bazargeschäft der
Heimat bekommen kann. »Poesie« steht gewöhnlich
auf solchen Bänden, die kaum ein Teilchen wirklicher
Dichtkunst umschließen. »Nur ein Viertelstündchen
findet man auf Schlummerrollen und Kissen, die in
der Regel einem viel ausgiebigeren Mittagsschläfchen
Vorschub zu leisten haben. Ob das Porzellan-Deckel-
gefäß mit der Inschrift »Frische Butter« immer nur
die Wahrheit spricht, mag unerörtert bleiben. Aber
der noch vor wenig Jahren allbeliebte Zwerg als
Tischständer mit der Fahnendevise »Genötigt wird
nicht« log gewöhnlich, da man nirgends mit Speise
und Trank so gestopft zu werden pflegte, als dort,
wo eine solche Figur die Tafel »zierte«. Ich kannte
einen hölzernen Rauchtisch, dessen beide Behälter auf
den Deckeln die Worte »leicht« und »stark« zeigten;
wenn man darinnen Zigarren vermutete, so konnte
 
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