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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 21.1910

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https://doi.org/10.11588/diglit.4873#0101

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ALTTHÜRINGER PORZELLAN







ALTTHÜRINGER PORZELLAN

DIE Ausstellung von Altthüringer Porzellan, die das
Leipziger Kunstgewerbemuseum im Herbst 1904
ins Leben rief, hat den erfreulichen Erfolg gehabt,
daß sich das Interesse für die Schöpfungen der
Thüringer Manufakturen des 18. Jahrhunderts allenthalben
ganz erheblich gesteigert hat. Vorher kaum gekannt und
jedenfalls auf dem Kunstmarkt wenig geschätzt, finden die
vielfach sehr bemerkenswerten Inkunabeln des Thüringer
Porzellans endlich eine gerechte Würdigung. Sammler wie
Museen, allen voran das Leipziger, das Hamburger und
die Thüringer, sind eifrig beflissen, gute und charakteristi-
sche Frühwerke der Thüringer Industrie ihren Porzellan-
vitrinen einzuverleiben. Die häufig sehr gefälligen und
gut durchgebildeten altthüringer Figuren finden jetzt selbst
vor den Augen verwöhnter Kenner Gnade. Ja, man kann
sagen, daß auf dem Kunstmarkt zurzeit geradezu eine
Vorliebe für die figürlichen Arbeiten Thüringens zum Aus-
druck kommt. °

□ Mit diesem Wachsen des Sammelinteresses geht ein
bedeutendes Steigen der Preise Hand in Hand. Im ein-
zelnen werden Preise gefordert und gezahlt, die dem
Kenner des Porzellanmarkts oft sehr übertrieben erscheinen
müssen, Preise, die für gleichwertige und selbst für höher
stehende Arbeiten der großen außerthüringischen Manu-
fakturen nicht erzielt werden können. So brachten selbst
bei der berüchtigten Versteigerung der Sammlung Dickins,
die in London stattfand, vier Limbacher Kostümfiguren aus
einer Serie der Jahreszeiten, die einstmals für Luxemburger
Porzellane galten, über 3000 M. Selbst altthüringer Ge-
schirr erzielte im einzelnen schon sehr hohe Preise, so vor
einiger Zeit ein Satz von hohen Volkstedter Kaminvasen
mit abnehmbaren Figuren auf den üppigen Rokokohenkeln
und ein allerdings ungewöhnlich geschmackvolles kleines
Gothaer Kaffeeservice der Sammlung Clemm. Letzteres
brachte nicht weniger als 1600 Mark. °
d Diese starke Hausse in Thüringer Porzellan ist gewiß
zum Teil die Äußerung einer Modelaune. Allein sie wäre
undenkbar, wenn nicht wenigstens die besten Erzeugnisse
der frühen Thüringer Fabriken eine Qualitätshöhe zeigten,
die höheren Ansprüchen an technische Reife, Geschmack
im Dekor und künstlerische Eigenart zu genügen vermögen.

□ Worin der Reiz dieser Elitestücke besteht, worin im all-
gemeinen die Eigenart des altthüringer Porzellans beruht,
läßt sich nicht leicht mit wenigen Worten sagen. Handelt
es sich doch dabei um die Erzeugnisse von zwölf verschie-
denen Manufakturen — so viele brachte Thüringen bis zum
Ende des 18. Jahrhunderts hervor —, und andererseits um
eine Entwicklung von immerhin vier bis fünf Jahrzehnten.
Nicht alle Fabriken haben künstlerische Waren produziert,
und die leistungsfähigsten, wie Kloster-Veilsdorf, Gotha
Volkstedt, Wallendorf und Limbach, haben jede ihre be-
sonderen Eigentümlichkeiten und Reize entwickelt und
zeigen in ihrer Produktion zum Teil grundsätzliche Unter-
schiede. D
d So liegt der Vorzug der Gothaer Fabrik in der fein-
fühligen Anpassung an die klassizistische Formenwelt, in
der geschmackvollen Einfachheit ihrer Formen, während
die Volkstedter Fabrik ihre Stärke in reichem Rokokozierat
zeigt. Die Veilsdorfer Porzellane haben ihren Reiz vor-
wiegend in der Eigenart des Dekors, ganz besonders in
ihrer durchaus individuellen, farbenfrischen, flotten und
doch sorgfältigen Blumenmalerei; bei den Gothaer Porzel-
lanen interessiert neben der strengen antikisierenden Formen-
sprache vor allem auch das tadellose, elfenbeinfarbige Mate-

rial. Limbach hat in künstlerischer Beziehung sein Bestes
in Figuren geleistet und auf diesem Gebiet alle anderen
Thüringer Fabriken überboten. Immerhin haben auch Volk-
stedt, Wallendorf und Gera und nicht Jzuletzt Veilsdorf im
Figürlichen eine beachtenswerte Qualitätshöhe erreicht,
wenigstens soweit sie sich auf harmlose Genremotive be-
schränkten. Die Götter und Halbgötter des Altertums haben
unter den Händen der Thüringer Modelleure merkwürdig
ungelenke und spießbürgerliche Gestalten angenommen,
selbst in Veilsdorf, vor allem aber auch in Limbach. □
□ Der bunte Kreis der Thüringer Genrefigiirchen hat viel
intime Anmut und manchen persönlichen Zug. Auch auf
diesem Sondergebiet geht wieder jede Fabrik ihre eigenen
Wege. Aber in einem Punkt gehen alle ihre dem Alltag
entnommenen Gestalten überein. Alle die zahllosen Ko-
stümfigürchen, die Thüringen hervorgebracht hat, — die ver-
liebten Kavaliere und schmachtenden Dämchen so gut wie
die Bauernburschen und Bauerndirnen, die Musikanten und
die anderen Gestalten aus dem Berufsleben, wie die
Schäfer-, Gärtner- und Fischerpaare sowie die Kaufleute und
Gelehrten- und Künstlertypen —, alle haben den Vorzug
und den besonderen Reiz, daß sie ein getreues Spiegel-
bild des kleinstädtischen und ländlichen Milieus geben,
aus dem heraus sie entstanden sind. Ganz besonders
deutlich offenbart sich das Urwüchsige und Spieß-
bürgerliche des Thüringer-Wald-Milieus in den eigentüm-
lich steifen und doch gleichzeitig übertrieben bewegten
Kavalieren und Fräuleins, die Limbach in drei, vier ver-
schiedenen Qualitäten paarweise als Repräsentanten der
Jahreszeiten auf den Markt brachte. Hier hat selbst das
Kostüm etwas spezifisch Kleinstädtisches, Provinzielles.
Die gute Durchbildung, der hübsche Dekor dieser Figür-
chen läßt über manchen Mangel im Ausdruck, in der Auf-
fassung, über manches Lächerliche und Äußerliche in der
Charakteristik, in den Attributen hinwegsehen. o

n Das Gesagte mag genügen, auch weitere Kreise wieder
einmal auf das abgelegene Gebiet der Thüringer Porzellan-
kunst aufmerksam zu machen und gleichzeitig Kenner
und Sammler darauf hinzuweisen, daß das umfangreiche
Werk über altthüringer Porzellan, welches die Direktion
des Leipziger Kunstgewerbe-Museums seit längerem vor-
bereitet, nach jahrelanger mühevoller Arbeit nun endlich
fertiggestellt und erschienen ist.1) Ursprünglich lediglich
dazu bestimmt, die Ergebnisse der Leipziger Ausstellung
von 1904 zusammenzufassen, hat es sich allmählich unter
dem Eindruck zahlreicher wertvoller neuer Funde zu einem
weitreichenden Überblick über die gesamte Frühentwicklung
der Thüringer Porzellankunst ausgewachsen. Jetzt erst,
nach Erscheinen dieses mit hunderten von sorgfältig aus-
gewählten und eingehend erläuterten Abbildungen aus-
gestatteten Werkes, sind wir in der Lage, das vielgestaltige
Bild, welches die Porzellanproduktion Thüringens in ihren
Anfängen darbietet, klar zu übersehen und ihrer künstle-
rischen Bedeutung ganz gerecht zu werden. □

1) Die Herausgabe des Werkes hatte sich verzögert,
da in den letzten Jahren eine Menge wichtiger Thüringer
Porzellane im Handel und in den Sammlungen auftauchten,
die geeignet waren, das Bild, welches die Leipziger Aus-
stellung von 1904 von den künstlerischen Anfängen der
Thüringer Porzellanindustrie gewinnen ließ, sehr wesent-
lich zu erweitern und auch zu verändern, und infolgedessen
nicht unberücksichtigt bleiben konnten. □
 
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