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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 21.1910

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Diez, Ernst: Islamische Kunst: Zur "Ausstellung von Meisterwerken muhammedanischer Kunst" in München
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https://doi.org/10.11588/diglit.4873#0234

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DIE MOHAMMEDANISCHE AUSSTELLUNG IN MÜNCHEN

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Knüpfteppich mit Kugel- und Blitzmuster auf
Aus dem Besitz des Fürsten

weißem Grund. Kleinasien, 17. Jaln
Schwärzenberg, Wien

d Ein ungestrichener Breiterboden und vier weiß-
getünchte Wände, die eine mit Schnitzereien verzierte
Holzdecke tragen, bilden den Raum. Vier Teppiche
sind in bestimmter Ordnung am Boden ausgebreitet.
Ihre Form wird durch ihren Platz bestimmt und sie
tragen eigene Namen. Der große zentrale Mittel-
teppich heißt Haie, die beiden schmalen seitlichen
Van, der querliegende Kßle. Dazu kommt noch der
Gebetteppich, den sich der Hausherr in der gegen
Mekka gerichteten Ecke des Zimmers breiten läßt,
wenn der Muezzin vom Minaret herab zum Gebet
ruft. In der Mitte der Schmalwand, die dem Eingang
gegenüberliegt, befindet sich der Ehrensitz des Haus-
herrn. Rings um die Wände läuft ein Divan, über
den gewirkte Teppiche — Kilims — gelegt sind.
In Wandnischen sind einzelne Fayencegefäße auf-
gestellt. Auch seichte Wandschränke mit Nischen,
die einer hölzernen Wandverkleidung gleichkommen,
sind besonders in Ägypten und Marokko gebräuch-
lich. In der Mitte des großen Teppichs ist auf höl-
zernem Gestell ein Becken aus Bronze oder Kupfer
angebracht, in dem glühende Kohlen gehalten werden,
das Mangal. Tafeln mit Koraninschriften zieren die
Wände. Auch die Gemächer der Frauen sind ähn-
lich eingerichtet, doch erkennt man sie von außen
an den hölzernen Gitterfenstern, die ihre Erker um-
schließen. In den Höfen spenden ornamental aus-
gestattete Wandbrunnen Frische. — Für die Moscheen
kommen wenige andere Geräte in Betracht: Die meist
reich geschnitzten und ornamentierten Koranständer
und Korankästen und die Moscheelampen aus Glas
mit Emailornament, häufiger aber aus durchbrochenen
und gravierten dünnen Kupfer- oder Messingplatten.

Den Hauptschmuck der Moscheen aber bilden die
farbigen, glasierten, zum Teil lüstrierten Fliesen; orna-
mentale Stuckfrieße und geschnitzte Türen waren in
älteren Perioden häufiger. o

n Seien es nun Gebrauchsgegenstände oder archi-
tektonischer Wandschmuck der einen oder anderen Art,
Teppiche und Fließen, Keramik und Metallgefäße, sie
alle sind von der gleichen,aus einem Geist entsprungenen
Ornamentik übersponnen, die sich allerdings allmäh-
lich den verschiedenen Materialarten angepaßt und
unter dem Druck technischer Herstellungsmöglich-
keiten verschiedene Typen ausgeprägt hat. Andere
Schmückungsmöglichkeiten bietet ein fünf Meter langer
Knüpfteppich als eine handbreite Fayenceschale. Der
Geist der Ornamentik aber bleibt stets derselbe: sie hat
keine tektonische Funktion zu versinnlichen wie die
antike, sondern ist funktionslos und um ihrer selbst
willen da. In ihr lebt sich die künstlerische Phan-
tasie des Orientalen aus, und wie in den Märchen
sich Wechselreden flechten aus Rätseln, Parabeln und
Gleichnissen, so verflicht sich hier das Rankenwerk
in unendliche Biegungen und Brechungen, verflicht
sich mit menschlichen und tierischen Gestallen, mit
grotesken oft und mit fratzenhaften, zu einem wunder-
vollen Ganzen, zu einem lustvollen Irrgarten fürs
Auge. Es sind immer wieder die gleichen Gestalten,
die auf den Teppichen und Gefäßen einzeln und in
Reihen wiederkehren, man kann sie an den Fingern
einer Hand aufzählen: Jäger zu Fuß, reitende Jäger,
Krieger, thronende Könige und geflügelte Genien;
aber man wird dieser Wiederkehr nicht müde. Denn
sie sind ja nur Teile eines ornamentalen Ganzen und
dieses ist immer anders, immer variiert, die schein-
 
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