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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 22,2.1909

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Heft 8 (2. Januarheft 1909)
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Gregori, Ferdinand: Die Schauspielerei als Beruf
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https://doi.org/10.11588/diglit.8815#0091
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Ls gibt ganz gewiß unter Malern nnd Bildhauern, Dichtern und
Musikern mehr Künstler, die ungetrübte Wirkungen ausüben, als
unter den Schauspielern. Täglich kann man hören, daß ein Dar-
steller, der vielleicht am vornehmsten Theater eine gebietende Stel-
lung hat, in der guten Gesellschaft mit dem Brteile abgetan wird:
„er ist für mich gar kein Schauspieler; es fehlt ihm das und das".
Dabei braucht keine Böswilligkeit im Spiele zu sein. Ieder, der
seinen Abend dem Theaterbesuch opfert, maßt sich das Recht au,
das Verhältnis von Dichter und Darsteller, das eben ein Kompromiß
ist, selbst zu bestimmen. So viel Menschen aber auf der Bühne
stehen, so vielerlei Arten von Kompromissen stehen da. Daruin ist's
für den feinsinnigen Zuschauer selten etwas Besseres als ein Chaos;
eine „absolut" künstlerische Vorstellung ist überhaupt nicht denkbar.

Dieser Beruf nun, dem so verschwindend wenige vollauf genügen
können, und der wiederum diesön wenigen nicht einmal genügt, gilt
als die bequemste Rettung aus verfehlten Lebensrichtungen. Er ist
vor allem die l'ata morZana in der Wüste des Beamten- und Kauf-
manns-Einerleis. Manche Außerlichkeiten begünstigen dies sinnlose
Andrängen. Ieder, der zum Theater will, findet irgendwo einen
Lehrer. Eher verweigern die vereinigten Fleischhauer, Schornsteiu-
feger, Bäcker und Straßenkehrer einem Lehrling Aufnahme und
llnterweisung als eine Schauspielerschule. Da lassen sich Leutchen
Direktoren nennen, die niemals eine Bühne betreten, von deu Er-
fordernissen des Berufes keine Ahnung haben und aller pädagogischen
Anlagen bar sind. Sie beharren auf dem Standpunkte: jeder Mensch
hat ein bißchen Schauspielerei an sich, vielleicht kommt's im Laufe
zweier Unterrichtsjahre heraus; das Theater braucht ja auch Diener-
spieler, und wenn's nicht für Berlin oder Wien reicht, so doch für
Stallupönen. Außerdem sagt sich der Schulunternehmer: verweigere,
ich dem jungen Manne den Zutritt, so füttert er meinen Konknrrenten.
Und der junge Mann ist plötzlich Schauspiel-Lleve und steht für
seine Angehörigen auf der Leiter zum Weltenruhme und zu un-
erhörten Reichtümern. Was weiß er denn vom Wesen des Theaters?
Man hat schöne Worte zu sprechen und bekommt dazu noch viel
schönere Kostüme angezogen. Manchem ist sogar unverständlich, daß
die Rollen wortwörtlich auswendig gelernt sein wollen: wofür sitzt
denn der Souffleur in dem runden grauen Kasten? Sprechen und
Lesen hat er in der Volksschule „absolviert"; ja, au Kaisers Ge-
burtstag ist es ihm überdies einmal vergönnt gewesen, öffentlich
zu deklamieren, was Vater und Mutter, ja der Lehrer himmlisch
fanden; das geringfügige Lispeln wird sich geben, die etwas ge-
drückte Gestalt sich strecken, die ungleich blickenden Augen lassen sich
durch seelisches Feuer ausgleichen, und zudem: habeu nicht die größten
Künstler ähnliche Mängel an sich? Der Herr Direktor verspricht,
um alle Einwände zu entkräften, am Ende der Schulzeit ein richtiges
Engagement an ein richtiges Theater, dessen Bühne womöglich heiz-
bar ist; und so steht der Zahlung des Ausbildungshonorars nichts
mehr im Wege. Es wird ein Vertrag geschlossen, der die Pflichten
des Schülers und die Verpflichtungen seiner Eltern mit zweifel-
loser Klarheit festlegt.


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