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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 22,2.1909

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Heft 8 (2. Januarheft 1909)
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Gregori, Ferdinand: Die Schauspielerei als Beruf
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https://doi.org/10.11588/diglit.8815#0094
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man nrcht mehr als fünfzig Pfennige ausgeben, des Abends, nach
der Vorstellung, fehlt wegen der Äbermüdung der rechte Appetit
auf Brot und Zwiebelfett. Ich nannte vorhin hundert Mark als
Monatsgage, aber sie blüht nicht jedem. Die Einrichtnng der
Volontärposten greift immer mehr um sich; sie ist für Anfänger
berechnet, und manche kommen nicht eher heraus, als bis ihre An°
gehörigen sie wieder in bürgerlichere Berufe zurückholen. Diese
Stellungen werden überhaupt nicht bezahlt; sie verhelfen aber den
Direktoren zu einer unentgeltlichen und eifrigen Komparserie. Kann
nun ein Abiturient die Last des Volontärdaseins nicht tragen, so
findet er in günstigem Falle auch einen freigebigeren Brotherrn, der
ihm eine monatliche Unterstützung von fünfzig Mark bewilligt; fie
währt eine Spielzeit lang, das heißt durch ein halbes Iahr. Im
Sommer sind die Engagements schwieriger zu bekommen, die Anfänger
bleiben am ehesten sitzen, und so beläuft sich ein ganzes Iahresein-
kommen durchschnittlich auf etwa 300 Mark! Ich habe schon angeführt,
was dafür zu leisten ist, und füge hinzu, daß die Reisen auch auf
dies Konto kommen, daß der Agent fünf Prozent abzieht und die
Pensionsanstalt der Genossenschaft Beiträge beansprucht. Es ist, ich will
dies nicht verschweigen, Anfängerinnen geglückt, auch höhere Gagen —
bis zu s50 Mark monatlich — zu beziehen, aber was will das sagen,
wo ein einziges Kostüm das Sechsfache verschlingen kann? Denn
jede pekuniäre Verbesserung kommt der Schneiderin zugute.

Nur eine eiserne Natur kann standhalten. Ich meine nicht in
erstcr Reihe den festen Charakter, der vielen Versuchungen ausgesetzt
ist, sondern die plumpe Gesundheit des Leibes. Es ist nicht jeder-
manns Sache, nachts zu lernen, wenig zu essen, von früh neun bis
nachmittags vier AHr zu probieren und abends von sechs bis elf in
stickiger Luft zu schuften. Ich bin gezwungen gewesen, mich an
Wintersonntagen in einem Keller aus- und anzukleiden, der keinen
Ofen hatte. Noch heute wird die Bühne eines großstädtischen Theaters
allein durch die offenen Gasflammen erwärmt, die zur Proben-Beleuch-
tung dienen und woran natürlich nach Möglichkeit gespart wird. Der
immer aufwirbelnde Staub macht die Bühne zur Brutstätte der In°
fektionskrankheiten, die denn auch fort und fort ihren Umgang halten.
Endlich die Abstecher! Nach der Probe packen die Schauspieler ihre
Garderobe und Schmucksachen, hasten zur Bahn oder auch mal zum
Leiterwagen, spielen an fremdem Orte ihr Stückchen herunter, fahren
zurück und kommen vielleicht um drei oder vier Ahr morgens zu
Bette. Fünf Stunden danach stehen sie wieder auf der Bühne, und
inzwischen haben sie ihre Rolle repetiert oder neugelernt. Am das
Wann und Wie kümmert sich eigentlich niemand recht.

Nun soll man zwar in der Kunst das tzöchste erstreben — für
den Tieferschauenden ist ja das Große und das Kleine einer künst-
lerischen Leistung wesensgleich —, aber es rächt sich, wenn man die
bedeutenden Einkünfte von Iosef Kainz an den eigenen tzorizont
malt. Die Zahl der Schauspieler, die am Wege sterben, hat noch
niemand festgestellt; aber auch von denen, die beneidet werden, leben
viele in sozialem Elend. Die Ansicherheit des Lebens ist in keinem
Berufe größer als hier. Es geschieht sogar ab und zu in Berlin,

2. Ianuarheft 73
 
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