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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 22,2.1909

DOI issue:
Heft 9 (1. Februarheft 1909)
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Avenarius, Ferdinand: Vom Subalternen
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Avenarius, Ferdinand: Wildenbruch
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https://doi.org/10.11588/diglit.8815#0157
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ästhetischen Kultur im besonderu genommen hat. Wollen nur noch
einmal daran erinnern, wieviel gute Bräuche als grober Unfug
erstickt, wieviel Dörfer, wieviel Städte, wieviel ganze Gaue in
ihren Bauten und Anlagen unter tapferster Mithilfe der Verordnungen
verkleinlicht und verderbt worden sind, kurz: wieviel Blumen der
Subalternismus nicht gepflückt, sondern ausgerissen hat, deren ver-
trocknete Reste jetzt die Drahtkultur zusammenbindet. Zum Schutze
bedrohter Güter werden wir das Kommandieren noch lange nicht ent-
behren können, müssen wir es selber sogar noch anrufen, so lange wir
kein Volk von Freien sind. Gerade das sollte uns der schmerzhafteste
Sporn sein, die Grziehung zur Freiheit unserm Wollen immer
im Vordergrunde zu halten.

Wäre das nur endlich „zu lebendiger Zeit Ilnnützes Erinnern
Ilnd vergeblicher Streit"! Anser politisches Wohlergehn ist jetzt im
Tiefstand, darüber sind wir alle einig. Brauchten aber deshalb nicht
trostlos zu sein, wenn wir's nur endlich ernst nähmen mit der Besse-
rung, mit gründlicher, vom Nähren der Wurzeln an. Das sub-
jektive Hochgefühl gibt bekanntlich keine Bürgschaft für wahre Voll-
kraft, sonst wäre der im ersten Stadium Berauschte der kräftigste
Mann. Wir hatten vom Oranäö Ilation-Champagner s870 so viel her-
übergeholt, daß wir selber daran einigermaßen zu Gewohnheitstrinkern
geworden waren. Ietzt tut uns der Kopf weh. Machen wir uns in
dieser Nüchternheit klar, daß wir nur dann ein Recht haben, die
Welt zu führen, wenn wir möglichst wenig von einer großen Herde
und möglichst viel von einer Nation auch innerlich freier Menschen
vor uns haben, und nur dann die Macht dazu, wenn wir unsre
nationalen Kräfte entwickeln und organisieren. A

Wildenbruch

^»'s ist keiner unter uns, der nicht über irgend etwas Wildenbruchi-
Eü^sches schon den Kopf geschüttelt hat, es sind wenige unter uns, die
^»^nicht vor der oder jener Stelle in seinen Dichtungen sogar mit
einem „unglaublich!" sich abgewendet haben, und es werden in unserm
Leserkreise nur vereinzelte sein, die in Wildenbruch einen wahrhaft
überragenden, einen großen Geist sahen. Aber trotz alledem: wo
sind die, die jetzt nicht das Gefühl eines schweren, ja: eines kaum
ersetzlichen Verlustes haben? Wildenbruch bedeutete etwas in unsrer
Kunst, aber weit über seine Bedentung als Dichter hinaus ging seine
Bedeutung für unser nationales Leben. Gar kein Zweifel: es ist einer
gestorben, um den wir alle klagen dürfen.

Unter unsern Bühnendichtern möchte ich ihn das stärkste Talent
von all denen nennen, denen die Hemmungen zu oft versagen. Er
war, schreibt man, „ganz Temperament", „ganz Affekt", und so hat
schon sein warmer Fürsprech Bartels in Erinnerung an Otto Ludwigs
Schillerkritik von ihm zugegeben, daß ihm zum großen Dramatiker
die große Leidenschaft fehle. Leidenschaft zwingt das ganze Sein
in die Richtung auf ein einziges Ziel; was rechts und links am Wege
liegt, ist ihr nur in Beziehung zu diesem Ziel bedeutsam; alle Wünsche
wirbt sie zu Dienerinnen des Handelns auf dieses Ziel; alle Ge°

b Februarheft 1909 ^25
 
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