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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 23,2.1910

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Heft 9 (1. Februarheft 1910)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.9023#0258
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über kommen, daß es sich hier um
eine allgemeine deutsche Kultur-
frage, hoch über allen politischeu
Teiliuteresseu, handelt. Und daß,
wie Rosegger selbst es klar aus--
gesprochen hat, nicht die Zerstöruug
odcr Hemmuug fremder, sondern
nur die Erhaltung alter eigener
Kultur in Frage kommt.

Man leugnet das auch für ge-
wöhnlich nicht. Man weiß sogar,
daß die Deutschen Ssterreich-Ungarns
eine Art Grenz-, Wacht- und Ver-
teidigungsdienst für das gesamte
deutsche Kulturgebict leisten. Man
weiß ferner, daß einzig und allein
sie die Einheit der für das
Deutsche Reich politisch so not-
wendigen österreichisch - ungarischen
Monarchie aufrechterhalten. Und
weiß da und dort auch, daß sie
eigne Kulturwerte von hoher Be-
deutung hervorbringen, die durch
den fremdsprachigen Ansturm ge°
fährdet sind. Man rühmt öster-
reichische Ligenart in der Kunst
und Literatur; man muß die wis-
senschaftlichen Leistungen, die meist
von Einsamen, ohne die Hilfe
starker Organisation vollbracht wer-
den, gelten lassen, man bezeichnet
gelegentlich sogar den österreichi-
schen Lebensstil als günstige Er°
gänzung des norddeutschen, man
würde jedenfalls die österreichische
Nuance ungern im Gesamtbild der
deutschen Kultur vermissen. Man
nimmt es anch hie und da den
Osterreichern übel, wenn sie sich
und die deutsche Sache nicht so
erfolgreich verteidigen, wie man
das allgemein wünschen möchte.
Man erkennt die große deutsche
Gemeinsamkeit an, wenn man
Opfer annimmt oder gar fordert.
Aber man übersieht diese Gemein-
samkeit, wo man sich an Pflichten
gemahnt fühlt, die sie mit sich
bringt. Dann denkt man halb,
denkt man lau, kommt jedenfalls

nicht vom Denken zum Handeln.
Und doch würde man im Reich
durch eine lebendigere Teilnahme
an den deutsch - österreichischen
Kämpfen auch ganz unmittelbar
selbst gewinnen: man hätte eine
gemeinsame große Angelegenheit, in
der sich die Reichsdeutschen bei aller
Zersplitterung, allen Meinungsver-
schiedenheiten im Innern zur Wah-
rung bedrohter Volksgüter gegen
äußere Feinde zusammenfinden
könnten, wie das ganz im großen
ja bei den Kriegen geschieht. Bei
den Vorstellungen, die man von
ferne und rein äußerlich von öster-
reich gewinnt, kann man freilich
wenig Lust zur praktischen Teil-
nahme gewinnen. Man sieht im
Reiche vor allcm die Verworrenheit
und Verkommenheit des politischen
Lebens beispielsweise im Parla-
ment, und es ist entschuldbar, wenn
man danach das österreichische
Leben überhaupt beurteilt. Aber
man überschätzt dabei den Parla-
mcntarismus, der gerade in Oster-
reich durch Verkettnng von sozialen,
wirtschaftlichen und geschichtlichen
Gründen (das heißt solchen der
Entwicklung) durchaus nicht das
wichtigste und wertvollste Stück dcs
öffcntlichen Lebens bedeutet. Eine
Unsumme Vvn entsagungsvoller
und aufopfernder Arbeit wird ganz
im stillen geleistet, beispiclsweise
in den Schutzvereinen und Volks»
räten. Erst wenn man diese tap-
fere, wenig dankbare, meist vom
Mittelstande geleistete Kleinarbeit
wirtschaftlicher und sozialer Art
kennt, hat man ein Bild vom
Leben an der Sprachgrenze.

Auf dicse positivcn Kräfte des
Deutschtums in österreich hat denn
auch Nosegger hingcwiesen, als er
seine Zweimillionenspende für den
Deutschen Schulverein anregte. Sie
wird zustande kommen. Aber er°
freulicher wär es gewesen, wenn

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