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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 23,2.1910

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Heft 11 (1. Märzheft 1910)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.9023#0387
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seit bcinahe zweitausend Fahren abgewöhnt hätte, würde ich jeht ein
Gelächter erheben, vor dem alle Ihre Bücher da sofort zu dem werden
müßten, was ohnehin ihr Schicksal ist: zu pulverisiertem Dreck."

Schmulius wollte seine berühmte Lachscrie prodnzieren und begann
mit dem Beppino-Gemecker. Aber der Alte hielt ihm den Schnabel zu
und sagte: „Schäm dich, alter Freund! Hast du die gute Erziehung gauz
vergessen, die ich dir gegeben habe? Pfui! Wie kannst du dich so er-
niedrigen, zu lachen! Laß das den Zweibeinigen ohne Federn!"

Schmulius versenkte seinen Schnabel in des Alten Haarwulst und
flüsterte kläglich: „Lulpa, eulpa, maxima eulps. Latsr, paecavi!"

„Schon gut!" sagte der Alte und fuhr, sich zu Franzl wendend, fort:
„Ach nein, mein Herr, ich bin kein Freigeist. Dazu bin ich zu ungläubig.
Ich bin — wie heißt es doch gleich? Nichtig: — »der alte Unglaube, der
stets irrefährt«."

Ein schwirrendes Geräusch wurde hörbar. Alle blickten auf und sahen
gerade noch, wie der kleine Ahrzeiger sich in einen Band Lenau spießte.

„Wenigstens hat mich so auf seine etwas direkte und darum nicht
hinlänglich differenzierte Manier Ihr verstorbener Kollege Lenau charak-
terisiert", wandte sich der Alte an Ioscph Bcppino. „Du lieber Gott:
Ihr Dichter ahnt ja mancherlei, doch ahnt Ihr meist nur um die Sachen
herum. Ich habe mir damals den Scherz uicht versagen können, den
guten Herrn Nimbsch von Strchlenau aufzusuchen, unter dcm Vorwand,
daß ich alte Kleider bei ihm erhandeln wollte. Und habc zu ihm gesagt:
»Wisseu Euer Gnaden vielleicht einen alten Glauben, der nicht irre-
fährt? Es interessiert mich, weil ich mit alten, von Kavalieren abgclegten
Sachen handle.« »Iud!« hat er geantwortet, »du solltest eiu Kritikus
werden.« »Bin's schon,« habe ich gesagt, »und habe andcre Gedichte
kritisiert als gedruckte: geblutete! Wareu auch nicht viel mehr wert als
die in Goldschnitt, habcn aber mehr Effekt gemacht. Nun ja: halt Blut!
Aber beweiscn tut Blut so wenig wie Tinte, Euer Gnaden. Wer
kalt ist: kalt, Euer Gnadcn, und das heißt: verdammt, die Wahr-
heit zu wollen, ohne an ihre Existenz zu glaubcn, der bleibt in
alle Ewigkeit kalt, und wenn ihn das Blut aller Heiligen, Helden und
Dichter badete. Ich bin dic Kälte, die nicht leben und nicht sterben
kann, — halten zu Gnaden. Hier ist der Gulden für die Nankinghosen.«
Da hat der liebe Herr in seincn dunkelbraunen Augcn ein Fünkchen
Gold aufglimmen lassen, daß ich mich später nicht gewundcrt habe, wie
ich hörte, er sei verrückt gestorben."

Dieser literarhistorische Exkurs war in seiner persönlichen Einklcidung
gewiß dazu angetan, etwas ungemütlich zu wirken, abcr Berlin N. unter
den Anwesenden fand ihn nur langweilig.

Zerlineken gähnte. Sie hatte sich an das Erstaunliche, da es scheinbar
nicht lebensgefährlich war, bcreits gewöhnt und dachte sich einfach: Oller
Quatschkopp.

„Sehr richtig, Madame!" waudte sich der Alte an sie, „ich rede un-
verantwortlich viel und zweifellos nicht so amüsant, wie es eine Dame
aus den geistreichstcn Kreisen der Gegenwart gcwöhut ist. .

Er wollte noch etwas sagen, aber Zerlineken wußte, was sich gehört, und
sie fiel ihm ins Wort: „ölsis non, ölonsisur, nmis non! Lsrtsinsment, vous
etes un bomme ä'esprit!"

Ss6 Kunstwart XXIII, ss
 
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