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Kunstwart und Kulturwart — 32,4.1919

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Heft 21 (1. Augustheft 1919)
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Lange, Konrad von: Die Illusion im Theater, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.14424#0131

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der Natur nachgcbildet sind. Unsere Spielwarenindustrie hat sich dies, nachdem
ich es zuerst literarisch betont hatte,* sehr bald zunutze gemacht. Sie erzeugt
jetzt Spielsacheu — ich erinnere nur an Hellerau —, die in allem das Gegenteil
von den bekannten Puppen mit Wachsköpfen, echten Haaren und wirklichen
Kleidern sind. Ia, dem Kinde genügt sogar schon das bloße Shmbol als
Anregungsmittel für die Phantasie. Es sieht schon in der Gerte die Peitsche,
im Stiefelknecht die Geige, im Sofakissen den Säugling.

Es scheint nun, daß die Deutung der künstlerischen Illusion als bewußte
Selbsttäuschung, d. h. die strenge Unterscheidung der Natur und Kunst, be-
sonders für Schauspieler urrd Regisseure etwas sehr Aberzeugendes hat. So ist
z. B. gleich nach dem Erscheinen meines Buches der damalige Wiener Vurg-
schauspieler, spätere Mannheimer Intendant und jetzige Berliner Spielleiter
Gregori mit aller Entschiedenheit auf meine Seite getreten und hat sich ge-
radezu begeistert über das „Wesen der Kunst" ausgesprochen.** Neuerdings hat
sich wiederum ein Schauspieler, Dr. Werner Klette, in einer besonderen Bro-
schüre mit meine.' Lehre auseinandergesetzt, wobei er sich mir zwar in der
Hauptsache anschließt, im einzelnen aber eine für mich nicht immer überzeugende
Kritik an meinen Ansichten übt.ch Lndlich hat vor ganz kurzem ebenfalls ein
junger Schauspieler, Dr. Hellmut Endemann aus Heidelberg, sich in einer
Reihe gesammelt herausgegebener geistreicher Essays ganz auf meinen Stand-
punkt gestellt. Er zeigt an mehreren Beispielen, auf Grund seiner praktischen
Erfahrung als Künstler, daß sich die meisten Probleme des Spiels, der Regie
und der Bühnenausstattung mit Hilfe meiner Theorie unschwer lösen lassen,
und versichert, daß diese auf alle hier in Betracht kommcnden Fragen „mit
unerreichter Aberzeugungskraft" Auskunft gebe.chch
s. Die Bühnenillusion

Endemann hat z. B. ganz richtig erkannt, daß die Forderungen der Reform-
oder Künstlerbühne, die sich seit sHW unserer Thcaterwelt immer mehr
durchzusetzen scheint, nur damit begründet werden künnen, daß durch die Ein-
fachheit der Bühncnausstattung die Distanz des Bühnenbildes vom Äkatur-
vorgang aufrecht erhalten, also die Phantasie des Beschauers dazu angeregt
wird, das Gesehene zur Natur zu ergänzen. Sagt doch auch Adolf Hildebrand
in seinem Vorwort zu dem Programm des Münchner Künstlertheaters (Mün-
chen (908, S. (0): „Mit ein paar Bäumeir, die richtig gestcllt sind, den Ein-
druck eincs ganzen Waldes hervorzurufen, mit einer Straßenecke das Bild
eincr ganzen Stadt in der Phantasie anzuregen, das sind Aufgaben, die höchst
intercssant und wichtig für dic Bühne sind. Denn es geht dem Zuschauer wie
dem Kinde: Gibt man ihm eine Puppe, die zu wirklich und zu ausführlich
ist, so hat die Phantasie nichts mehr zu ergänzen, die Puppe
mit ihrer allzu großen Realität verdirbt dem Kinde seine imaginäre Welt,
und das Kind kann nichts damit änfangen. Genau so mit einer Bühne, die
nicht darauf abzielt, die Phantasie in Bewcgung zu setzen, sondern die in
ganz entgegcngesetzter Absicht darauf ausgeht, dem Auge eine wirkliche Natur
weiszumachen."

„So hat die Phantasie nichts mehr zu ergänzen," das ist ganz im Sinne der
Illusionstheorie gedachr. Bei der älteren Illusionsbühne, die sich durch die
reiche Szenerie und die naturalistische Ausführung ihrcr Kulissen und Prospekte

* K. Lange, Die künstlerische Erziehung der deutschen Iugend, Darmstadt
(893. S. 5( ff.

** Vgl. cinen im Druck befindlichen Aufsatz von mir: „Die ästhetische Illu-
sion und ihre Kritiker" in dcm ersten demnächst erscheinenden Bande von
Vaihingers Annalen der Philosophie.

ch Aber Theorien und Probleme der Bühnenillusion, von Dr. Wcrner Klette,

(9((.

chch Rampenlicht und Schattenseiten, von Dr. Hellmut Endemann, Vita-Verlag,
Berlin (9(8. S. 25. Vgl. auch S. 29, 30, 37, 39, 5(, 52, 56, 62 und 67.
 
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