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Kunstwart und Kulturwart — 32,4.1919

DOI Heft:
Heft 23 (1. Septemberheft 1919)
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Bölsche, Wilhelm: Alexander von Humboldt: zum 150. Geburtstag (14. September 1769)
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https://doi.org/10.11588/diglit.14424#0213

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Goethe, ber der Tafel gesessen, wie von etwas Selbstverständlichem kam,
während sie heute einem Durchschnitts-Naturwissenschaftler das Gegenteil
von selbstverständlich ist.

Er kam aus einer Epoche, die eingesehen hatte, daß alle Forschung, soweit
sie nicht bloß ein Handlangermittel zn roher Macht sein soll, eine Lsthetische,
humanistische, .geisteswissenschastliche Durchseelung nötig hat, die sie erst ins
Höhermenschliche, in die große „Bilhnng" als solche erhebt. Geschichte,
Philosophie, Sprach- und Rechtswissenschaft, Kunstgeschichte, alle hatten
diesen Anschkuß erfahren, jetzt war die junge Schöpfung der Naturwissenschaft
an der Reihe. Es ist he'ute eine amüsante geschichtliche Randnotiz, daß
Schiller 1797 ^grade diese FLHigkeit für den jüngen Humboldt bezweifelte,-
der alte im „Kosmos" hätte ihn angenehm widerlegt.

Ganz aus diesem Geiste heraus baut er hier zuerst die Nnterlagen des
Naturstudiums auf im innigen Versenken des Gemüts in die Natur, im
„Naturgefühl" aller Pölker und Edelsten. Dann läßt er mit Herder die
Natur aufklingen und aufblühen in der Dichtung aller Zeiten und Zungen.
Kulturgeschichtlich verspinnt er das Naturerkennen mit allen Stufen sonst des
geistigen Menschheitsheraufgangs, >— daß man schrittweise 'ühlt, wie diese
Natur eine Macht wurde, einseitig im Sinne wachsender technischer Beherr-
schung ihrer MLume und Kräfte, umfassend und vertieft aber als Erweite-
.rung und neue Bereicherung des Menschheitsdenkens. Bis sich endlich das
„Naturgemälde" selbst darüber erhebt, so wie es heute der stillen Einzelarbeit
vor ihren Leleskopen und Meßapparaten verdankt wird, aber zugleich ästhe-
tisch gegliedert, mit einem biblischen Klang der lobenden Morgensterne, —
wandernd in der Schru bis zum fernsten bläulich verglimmenden Nebelfleck,
aber doch nie vergessend, daß all diese Nnermeßlichkeit eigentlich in
einem Menschengeiste flammt, ein Blick in die schaffenden Wunder seines
Selbst ist.

Ich meine nun, das hätten wir heute sehr, sehr nötig. Wir alle brauchen
die.Natursorschüng, aber wir brauchen sie nicht bloß in der Form, daß sie
uns eine verbesserte elektrische Lampe auf den Tisch stellt. Wir brauchen
sie in dieser Humboldtschau. Nur auf diesem Wege kann sie wirklich ins
Volk gehen. Kann sie sich ein Volk schaffen (dieses Volkschaffen scheint
mir heute die Hauptsache), statt bloß ein paar einsame Fauste in ihrem La-
boratorium zu beschäftigen, die der Menge Wunder tun, die aber keiner
versteht.

Viel geschehen ist auf dem Wege aber in den sechzig Iahren, tzand
aufs Herz, nicht. Nnd der alte Kosmoswanderer steht da immer noch vor
uns als ein großer Mahner, wenn er's auch manchmal ein bißchen schwer
deutsch ausdrückt, als einer, von dem wir lernen können, weil er eigentlich
unserer Gegenwart noch voraus ist. Nicht auf das kommt's an, was er
stofflich popularisiert stat für seine Zeit. Da ist viel veraltet. Aber im Geist,
wie er popularisieren faßte!

Und er hat da noch eine Seite, die ich immer empfinde, wenn ich auch
nur eine Seite tzumboldt heute lese.

Wir reden sehr viel von naturwissenschaftlicherWeltanschauung. Nun gewiß:
ein so ungeheures Menschheitsereignis wie die moderne Naturerforschung muß
und soll notwendig und logisch auch in allerlei Weltanschauliches eingreifen,
wie verschieden die Einzelwege sein mögen. Auch Humboldt selbst hatte
hier seine Meinung, obwohl er sehr vorsichtig, klug und — weitsichtig war.
Er wollte nicht, daß sein „Kosmos" aus der Ecke allzurasch veralte. Ms
 
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