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Kunstwart und Kulturwart — 32,4.1919

DOI issue:
Heft 23 (1. Septemberheft 1919)
DOI article:
Volkshochschulfragen, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.14424#0221

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und wertvolle Typen von Volkshochschulen. Aber sie sind nicht die
einzigen und vielleicht nicht einmal die besten; es ist ganz übertrieben,
neben diesem Sondertyp alle andern fnr minderwertig zu erklären. Iedoch:
einen Gedanken lassen sie anklingen, der vielleicht entscheidend ist
für alle Volkshochschnlarbeit, den des „organischen Aufbaus".
Denn das kann man gar nicht scharf genug betonen: eine „Volkshochschnle",
die aus bunt zusammengewürfelten Vorträgen oder Vortragsreihen besteht,
mit oder ohne die berühmten Lichtbilder, gehalten von ein paar Dutzend
Ganz--, Halb- oder Viertelfachlenten, die gerade nichts zu tun haben, ein
solcher „gewordener", nicht durchdachter, gewollter, „gebauter" Betrieb ist
allenfalls eine sympathische Volks- (und nicht nur Volks-) „Unterhaltung",
bei der von tausend ausgestreuten Bildungstückchen eins ein Korn ist uud
von tausend solchen Körnern eins aufgeht — aber eine Hochschule ist sie
nie. Freilich, man kann diese Betriebsform nicht einfach abtun nrit dem
schön klingenden Satze: sie bringt Halbbildung hervor, und Halbbildung ist
schlimmer als Unbildung. Denn dieser Satz ist ebenso unsinnig wie er
„schön" ist. Man sollte einen vorgeblich Ganzgebildeten einmal mit ganz
Ungebildeten ein Iahr lang allein lassen — wie würde er dann nach den
verachteten Halbgebildeten verlangen! And wer verbürgt uns überhaupt
unsere Vollbildung? Kann uns nicht morgen jemand begegnen, dessen
Bildung wir nur zur Hälfte erreichen? Nein, jene Betriebe bringen andere,
und zwar schlimmere Gefahren mit sich. Als da sind: allmähliches Unfähig-
werden der Hörer zu geistiger „Arbeit", Falschschätzung oder Nnterschätzung
der wissenschaftlichen und anderen geistigen Arbeit, chronisches Mißverstehen
der eigentlichen Sachbelange. So oder Lhulich können diese Betriebe allzu-
leicht innerlich wirken. And äußerlich bedeuten sie eine vielleicht noch schwe-
rere Gefahr. Denn sie können wichtigeren Volksbildungbestrebungen den
Raunr wegnehmen. Wo einmal ein großer Verschleiß von einzelnen Vor-
lesungen in einer mittleren Großstadt eingesetzt hat, wird es auf Iahre hin-
aus unmöglich sein, für ernstere Volkshochschularbeit die Kräfte, die Mittel
und die Lernenden zu finden. Der „Betrieb" hat die Scheinvorzüge, leichter
einrichtbar zu sein, geringere organisatorisch-geistige Arbeit zu brauchen,
mehr Stoffe zu „bewältigen", dem Lernenden freiere Wahl zu lassen. Man
kann nach alledem es gut verstehen, daß manche Sozialpädagogen an der
Errichtung solcher unechter Volkshochschulen aus Gruudsatz sich nicht be°
teiligen. Was sie beschaffen, ist Oberflächenkultur, was sie zerstören, ist
vielleicht iu Iahrzehuteu nicht zu ersetzen. Man darf nie vergessen, daß die
Volkshochschule, kulturpolitisch betrachtet, kein Notbau werden soll, sondern
ein Dauerbau. Was wir jetzt als Schuld an den früher Veruachlässigten
nach Möglichkeit rasch und notbaumäßig gutzumachen und nachzuholen haben,
ist ein Teil der Schulbildung, ist aber nicht Hochschulbildung. Für schlichte Ar-
beiterunterrichtkurse, Repetierkurse usw. — Leseu, Rechnen, Sprachen, Geogra-
phie, Geschichte u. ä. — kann eine Notorganisation ohne Schaden eingerichtet
werden; wir hoffen, daß wir sie in zwanzig bis dreißig Iahren nicht mehr
brauchen. Wir hoffen aber auch, daß wir Volkshochschulen in zwauzig,
dreißig, fünfzig Iahren mehr brauchen werden als heute. Denn die künfti-
gen stark spezialisierten Schulen werden das Bedürsnis nach „Weiterbildung",
nach einer umfassenden und tiefgreifeuden Weiterbildung, und auch das nach
einer inhaltlich vom Schulwesen ganz abweichenden selbständigen höheren
Bildung stärken, und die Lebensordnung wird den Typus der Volkshochschule
vielleicht sogar gegenüber dem der heutigen Uuiversität bevorzugen.

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