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Kunstwart und Kulturwart — 32,4.1919

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Heft 24 (2. Septemberheft 1919)
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Avenarius, Ferdinand: Zum Gedächtnis Naumanns
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https://doi.org/10.11588/diglit.14424#0260

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verhehlt, nachdem er seine Erfahrungen mit ihr gemacht hatte. rind hier
liegt wohl auch der Grund dafür, daß er in kluger Selbsterkenntnis, in
freiwilliger Bescheidung darauf verzichtet hat, einen Ministerposten zu be-
kleiden, wie er ihm schon unter Bethmann und nachher des öfteren sicher
gewesen wäre, wenn er gewollt hätte.

Dieser Verzicht macht Naumann gewiß nicht kleiner. Lr wird mit dazu
beitragen, daß sich sein Bild in der Geschichte fleckenlos und edel erhalten
wird wie gewiß selten bei einem politisch Hervortretenden. So leicht auch
politischer Hader von sachlicher Bekämpfung zu persönlicher Verdächtigung
weiterzuschreiten Pflegt — bei Naumann hat es nie ein Gegner gewagt,
an der unbedingten Reinheit seines Wollens zu zweifeln. Er war ein
Mann ohne Falsch und Arg. Das ist vielleicht das Schönste, was wir
von ihm sagen können. Erich Schairer

^m^enken wir uns das Vierteljahrhundert bis zu Naumanns ,,öffent-
^^^lichen Anfängen" zurück.

Dolksversammlung. Ein „Stöckerianer" soll sprechen, aber es-sei
kein richtiger, er sei freisinniger. Stöckern haben wir gestern gehört.
Ein glänzender Redner, immer auf die Wirkung aus, und immer erreichte
er sie, unzweifelhaft auch im Letzten aus Äberzeugung, aber wie oft kam dem
kritischen hörer das Gefühl: jetzt braucht er ein Mittel, das erst der Zweck
heiligen muß. Und nun kommt Naumann. Welch ein dicker Koloß! Dieser
asthmatische Todeskandidat mit dem kleinen Kopf da, das ist er? Zwar
gescheit sah er aus, der Kopf! Aber das Stimmchen, und so ein hohes!
Gottlob, pathetisch gab er sich wenigstens nicht. Nicht einmal, als wenn
er da zu einer Masse sprach, die er zu einem „Wir" zusammenwerben
wollte. So einfach war das, daß es bald jedem klang, wie ein Du
zum Ich. Nnd gnte Vergleiche! Vergleiche? Er zeigte Bilder hin! Nicht
doch: er sormte sie vor einem aus der Luft, mitunter schien es: sogax
die Hand half dabei, so wenig er sie bewegte. Bald störte weder das
üble Organ noch das Seltsame der Erscheinnng — der Geist hatte sie
wie gleichgültige Aufälligkeiten ausgelöscht.

Ein paar Tage darauf. In einem Privathause. Dem kleinen Kreise Ge-
ladener will Naumann darüber Rede stehen, wie er sich die Gründung
eines nationalsozialen Vereines denkt. Spruch und Widerspruch mit Män-
nern verschiedenster politischer Gesinnung und Stimmung. Derselbe Nau-
mann, der, wenn er längere Zeit allein sprach, seinen Stoff aus seinem
Eigenleben heraus ganz wie ein Künstler gestaltete, jetzt nahm er jeden
Einwand so ernst, daß er zu Zeiten ein Gärtner schien, der ja kein Edelreis
unaufgepfropft lassen wollte. Kam ihm aber ein Gedanke doch so der
Ouer, daß er ihn zunächst schnell abwies, man wußte nun schon: er geht
ihm im stillen nach und irgendwo setzt er sich mit ihm auch öffentlich
auseinander. Nein, für den gab es kein Dogma — der verarbeitete.

Die ersten Zeiten der „Hilfe", das kurze Leben der „Zeit". Die Bedeu-
tung, welche die „Hilfe" erlangt hat, ist denn doch wohl allgemein an-
erkannt — ich für nrein Teil glaube, daß keine andre politische Zeitschrift so
nützlich wie Naumanns „Hilfe" gewirkt hat. Aber das Tageblatt „Die
Zeit" gingen jetzt auch die Nekrologe meist mit flüchtiger Lrwähnung
hinweg. Ach ja, sie hatte zu wenig Kapital, die „Aeit", sie hatte kein
Geld für großen Nachrichtendienst usw. — aber sie war das erste von der
ersten bis zur letzten Zeile vornehme Tageblatt in Deutschland. Das

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