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Kunstwart und Kulturwart — 32,4.1919

DOI Heft:
Heft 24 (2. Septemberheft 1919)
DOI Artikel:
Volkshochschulfragen, 2
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https://doi.org/10.11588/diglit.14424#0266

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lesungsreihen erschwert. Auf der Oberstufe gilt grundsätzlich, datz ver-
einzeltc drei-, vier-, fünf-, sechsstündige Kurse keine große Vedeutung
habeu. Sie können als Neben- und Begleitwerk, als Füllsel zugelassen
werden. Den Kern der Volkshochschule haben kombinierte Vorlesungen,
Vorlesungen mit Äbungen und Vorlesung-Reihen zu bilden. Beispiel-
weise folgendermaßen. Kombinierte Vorlesungen: Dozent A kündigt an
eine zehnstündige Vorlesung über das Taylorsystem; es wird aufmerksam
gemacht, daß man gut tut, die gleichzeitige Vorlesung des Dozenten N
über Anatomie und Physiologie oder die des Dozenten B über Wissen-
schaftliche Betriebslehre und eventuell die des Dozenten L über Fabrik-
organisation oder die des Dozenten H über die Grundlagen der Groß-
industrie zu hören. Vorlesungen mit Äbungen: wie in den Nniversitäten,
so haben an den Wolkshochschulen geologische, heimatkundliche, botanische
und andere Vorlesungen mit Lxkursionen, Besichtigungen, (Lxperimenten
nsw. verbunden zu sein; diese Selbstverständlichkeit bedarf keiner Begrün-
dung und Aussührung. Vorlesung-Reihen: Dozent A kündigt für das
Winterhalbjahr B/20 an eine Vorlesung über Vergleichende Staatslehre.
„Es wird aufmerksam gemacht, daß die Vorlesung zweijährig gedacht ist.
j. Halbjahr: Verfassungen; 2. Halbjahr: Wahlsysteme; 3. Halbjahr: Verwal-
tungssysteme; Halbjahr: Staat und Kirche, Staat und Schule, Staat und
Kunst, Weltpolitische Tendenzen; es empfiehlt sich nicht, die erste Vorlesung
zu belegen, wenn der Hörende im nächsten Halbjahr seinen Wohnort wechselt,
da sich die Vorlesungen ergänzen und nicht selbständig sind."

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^»n einein neueren Volkshochschullehrplan finden sich folgende Ankündi-
Ogungen: „Philosophie. K. Zur Einführung: j. Vierteljahr: Philosophie
des Altertums; 2. Vierteljahr: Mittelalter und neuere Zeit; 3. Vierteljahr:
Philosophie seit Kant. L. Die Hauptrichtungen der Philosophie: s. Viertel-
jahr: Lrkenntnistheorie; 2. Vierteljahr: Metaphysik; 3. Vierteljahr: Ethik."
Das ist eine typisch schlechte und unbrauchbare Gruppierung. Nicht
nur, weil dic Einteilung Altertum—Mittelalter—Neue Zeit längst überholter
Schulzopf ist, sondern auch aus tiefer liegenden Gründen. Das Ganze verrät
deutlich 'die Absicht: einen „Äberblick" zu geben. Für jede Vorlesung stehen
durchschuittlich neun Stunden zur Verfügung. Davon entfallen etwa auf
die Vorsokratiker eine, auf Platon und Aristoteles je zwei, auf die Sophisten
eine, auf die Stoa eine, auf den Kynismus eine, auf „Rom" eine. Gemein-
verständlichkeit erfordert nun fraglos doppelt oder dreimal so viel Zeit als
bloße Fachverständlichkeit; nur ein breiter, alle Voraussetzungen ansdrücklich
behandelnder Vortrag kann Laien schwierige Dinge nahebringen. Der Redner
ist noch nicht geboren, der in einer „Stunde" von iü Minuten die Vorsokratik
so behandeln kann! Oder doch? „Das wird doch oft genug schon geschehen
sein!" Ganz gewiß: man kann in Minuten einen Lehrbuch-Inhalt vor-
tragen, der mit der Philosophie der Alten knapp die Worthülsen gemein hat.
Man läßt die Kernprobleme weg, erzählt von der „naiven Naturphilosophie"
der Vorsokratiker, von der „sittlichen Stärke und Selbstbesinnung" des Sokra-
tes, vom „Idealismus" des Platon, vom „Realismus" des Aristoteies,
von de'' bösen Silbenstecherei der Sophisten — kurz, man schwelgt in Schlag-
worten Für gut Vorgebildete hat das gelegentlich einen Sinn. Änvorgebil-
dete könncn solche Vorlesungen fünf Iahre lang hören, ohne irgendwle inner-
lich bereichert zu werden. Gewöhnlich werden sie nach einer davonlauien.
„Aber was kann man tun, wenn es so liegt?" Man kann radikal vorgehen.

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