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Kunstwart und Kulturwart — 32,4.1919

DOI Heft:
Heft 24 (2. Septemberheft 1919)
DOI Artikel:
Volkshochschulfragen, 2
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https://doi.org/10.11588/diglit.14424#0267

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„Äberblicke" sind ein für allemal fernzuhalten! Aberblicke kann man sich dnrch
Lesen verschaffen. Wenn aber schon „Philosophie" vorgetragen werden mnß
— man sollte es nur auf dringendsten Wunsch vieler Hörer oder eines hoch-
befähigten Lehrers tun! —, dann kann dies nur den einen Sinn haben:
Denken-Lehren! Aud dazu taugt die Einführung in eines Denkers, einer
Schule Lehre, in ein einziges Werk vielleicht, verbunden mit Abungen.
Es steht nichts im Wege, am Schluß eines Iahres, das nur dem Platon
gewidmet war, zwei oder drei Stunden dem Hinweis auf andere Problem-
stellungen, Vorsokratiker, Stoa zu widmen, worauf schon während der
Abungeir vorbereitet wurde. — In ähnlicher Weise wäre statt „Ethik"
etwa zn behandeln: Die sittlichen Lehren des Sokrates; Der Atilitarismus
Benthams, Egoismus und Altruismus, alles mit Abungen — wenn denn
überhaupt Vorlesungen über Ethik unvermeidlich sein sollten.

Ein noch schlimmeres Beispiel für falsche „Systematik" entnehme ich dem
gleichen Vorlesungsverzeichnis: „Bürgerkunde" (das Wort schon ist schief!).
(. Vierteljahr : Einführung in die Nationalökonomie; 2. Vierteljahr: Ein-
führung in die Sozialwissenschaften (auch Nationalökonomie ist eine „So-
zialwissenschaft", ebenso Rechts- und Staatslehre!); 3. Vierteljahr: Ein-
führung in die Rechts- und Staatswissenschaft. Dauer: achtzehn bis höch-
stens sechsunddreißig mal ^3 Minuten! Solche Versuche, das Unmögliche
möglich zu machen, können niemals einen Schimmer „unserer" Lust am
Gebildetsein, einen Ansang „unserer" Befähigungen erzeugen.

(0

HHir haben als H aup tth em en der Volkshochschule Naturwissenschaften
^^und Sozialwissenschaften bezeichnet. Aber die Didaktik der Naturwissen-
schaften ist nichts weiter zu bemerken; sie ist vielfach ausgeprobt und bietet
nicht annähernd die gleichen grundsätzlichen Schwierigkeiten wie diejenige
der Gesellschaftkunde. Die Schwierigkeiten liegen hauptsächlich in fol-
gendem. Was wir erreichen wollen, sind zwei weit voneinander ab-
liegende Ziele: Einblick und Aberblick. Eine Quelle unsrer Lust und ein
Grund unsrer Befähigung ist, daß wir die Hauptzüge, das grundsätzliche
Wesen der Verwaltung, des Rechts, des Staates, des Völkerrechts, des
Kartells, des Handels, der Moralstatistik, der Kirche, der Sitte, der So-
zialhygiene, der Wissenschaft usw. kennen, daß wir den Äberblick haben.
Aber der „bloße" Aberblick wie ihn ein Wälzer über „Die Grundlagen der
Kultur" oder ein Handbuch der Sozialwissenschaften bietet, würde uns
nichts bedeuten, wenn wir nicht an einigen E i n z e l - Erscheinungen
tief in das eigentliche Wesen einer gesellschaftlichen Angelegenheit einge-
drungen wären; der eine kennt die Verwaltung aus Erfahrung, der andre
die Kirche, der dritte die Zeitung, der vierte das Bankwesen. Einige habeu
noch mehrere Gebiete dieses Nmfangs studienweise kennengelernt; wir alle
vermögen mit Hilfe analogisierender Vorstellung uns ein Bild weiterer Ge-
biete zu machen, wenn sie uns gut geschildert werden. „Oben" stehend,
wo Entschließungen über ganze Gebiete fallen, kennen wir die Zusammen-
hänge, die Verflochtenheit der Erscheinungen im Längs- und im Quer-
schnitt durch die Entwicklung. Es ist das Wesen des Nnausgebildeten,
daß er aus seinem Gesichtswinkel, von „unten" her, vielleicht sogar mehr
mit eignen Augen gesehen haben kann als wir, daß er aber trotzdem weder
„Einblick" noch gar Aberblick hat. Er kennt vielleicht viel Einzelnes, aber
er deutet es falsch, sieht nicht die Nrsachen, nicht die Wirkungen, nicht die
Zusammenhänge, nichteinmal die nächsten. Wie sind die zu geben? Eins

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