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Krüger, Thomas [Editor]; Stephan, Hans-Georg [Editor]; Raddatz, Klaus [Honoree]; Korbel, Günther [Oth.]; Korbel, Günther [Oth.]; Raddatz, Klaus [Oth.]
Materialhefte zur Ur- und Frühgeschichte Niedersachsens (Heft 16): Beiträge zur Archäologie Nordwestdeutschlands und Mitteleuropas — Hildesheim: Verlag August Lax, 1980

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.65795#0337
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zwischen steht dieser Befund nicht mehr allein, da 1974 im Kurgan 62/Bestattung 4, die die
Hauptbestattung des Hügels darstellt, das Skelett einer weiteren Frau mit Schmuck und Ton-
spinnwirtel sowie Eisenschwert und Köcher gefunden wurde. Auch dafür wird eine Datierung
ins 5. Jahrhundert v. Chr. angesetzt (BRASINSKIJ 1976, 90). Die bisher reichste dieser Be-
stattungen im skytisch-sauromatischen Grenzbereich wurde 1976 beim Chutor Sladkovskij
im Oblast’ Rostov aufgedeckt. Die Tote trug einen Halsreif aus Elektron mit Endstücken in
Form von Raubtierköpfen, zwei Schläfenanhänger oder Ohrringe, Perlen auf der Brust und
am Handgelenk und hatte einen Bronzespiegel, eine griechische Amphore und die üblichen
Speisebeigaben (Hammelknochen mit Eisenmesser) bei sich. Ihre Waffen bestanden aus ei-
nem 75 cm langen Eisenschwert mit Bronzegriff an der linken, einem Köcher mit Bronzepfeil-
spitzen und Goldplättchen vom Köchergehenk an der rechten Seite und einer Lanze am Kopf-
ende. Im Dromos des Grabes lag ein aufgezäumtes Pferd mit bronzenem Riemenschmuck.
Der Ausgräber datiert die Bestattung ins dritte Viertel des 4. Jahrhunderts v. Chr. (SMIR-
NOV 1976, 121).
Versucht man einmal, sich den sportlichen Hintergrund vorzustellen, der für diese Frauen,
wollten sie auf der Jagd und im Kampf bestehen können, unerläßlich war, so bieten sich eini-
ge Schlußfolgerungen rein theoretisch an. Bestimmt waren von klein auf Konditionsübungen
notwendig, um eine gewisse Ausdauerfähigkeit zu erreichen. Das Reiten zu Pferde — sicher
von frühester Jugend an geübt — war wohl ein gutes allseitiges Training, insbesondere, da ne-
ben Geschicklichkeitsübungen wie dem Überwinden von Hindernissen, dem Werfen und
Schießen nach festen und beweglichen Zielen, Reiterspielen u. a. auch noch das „Distanzrei-
ten” im Vordergrund gestanden haben dürfte. Dies ergibt sich durch die nicht seßhafte Le-
bensweise und das notwendige Überwinden relativ großer Entfernungen im nordpontisch-
kaspischen Raum zwangsläufig. Die skythenzeitlichen Reitpferde maßen nach Ausweis der
archäologischen Quellen im Höchstfall um 150 cm im Widerrist, vereinzelt bis 160 cm (sie
gleichen damit etwa den heutigen Araberpferden). In den Schriftquellen werden sie als äu-
ßerst temperamentvoll geschildert und verlangten dem Reiter bzw. der Reiterin sicher beacht-
liches Können ab. In kritischen Kampfsituationen kam hinzu, daß nicht nur vollendete Be-
herrschung des Tieres bei überraschenden Reaktionen und besonders Verletzungen notwen-
dig wurde, sondern auch im Notfälle das Weiterreiten auf jedem anderen Pferd.
Was den Umgang mit den verschiedenen Waffen betrifft, so war sicher auch ausgiebiges Trai-
ning von Kindesbeinen an erforderlich, wollten die Frauen den Schwierigkeiten, denen sie in
Jagd- und Kampfsituationen begegneten, einigermaßen gewachsen sein. Beherrschung der
Technik und Aneignung großer Geschicklichkeit im Umgang mit den verschiedenen Waffen
dürften gerade für die ja kräftemäßig im Vergleich zu den Männern unterlegenen „Oiorpata”
von ausschlaggebender Bedeutung gewesen sein. Zwar sind die Trainings Wirkungen im Grun-
de bei Männern und Frauen gleich, aber doch graduell unterschiedlich. Es ist sicher kein Zu-
fall, daß Pfeil und Bogen mit den üblichen Jagdmessern in allen „Amazonengräbern” vor-
kommen und die Grundausrüstung darstellen. Durch die Bogenwaffe läßt sich wohl am gün-
stigsten die bei Frauen geringere Muskelkraft ausgleichen, die geringer blieb, selbst wenn man
damit rechnet, daß ein intensives Muskeltraining durch verschiedene sportliche bzw. jagdmä-
ßige Übungen vorangegangen war. Hinsichtlich der Handhabung von Lanze, Speer und
Wurfspieß sind dagegen die Voraussetzungen bei Frauen wesentlich schlechter als bei Män-
nern, da die Valgus-Stellung des Frauenarmes zumeist stärker ist. Dies bedeutet in der Praxis,
daß bei Frauen selbst beim Aufwenden gleicher Kraft durch die ungünstigere Winkelstellung
ihrer Armknochen die Kraftübertragung weit weniger effektiv ist, somit also für eine gleiche
Leistung mehr Kraft aufgebracht werden muß als bei den Männern. Es ist demnach vielleicht
kein Zufall, daß die Dichter die legendäre Amazonenkönigin Penthesileia gerade mit dem
Speer so unglücklich enden lassen. Das war wohl in der Tat eine ungünstige Waffendisziplin,

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