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Krüger, Thomas [Editor]; Stephan, Hans-Georg [Editor]; Korbel, Günther [Oth.]; Korbel, Günther [Oth.]; Raddatz, Klaus [Oth.]; Raddatz, Klaus [Honoree]
Materialhefte zur Ur- und Frühgeschichte Niedersachsens (Heft 16): Beiträge zur Archäologie Nordwestdeutschlands und Mitteleuropas — Hildesheim: Verlag August Lax, 1980

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.65795#0338
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wollte man zwei auf diese Kampfesweise spezialisierte Helden wie Achilleus und Ajax ernst-
lich in Gefahr bringen, und so ritzt denn einer poetischen Beschreibung nach der geschleuder-
te Speer der Amazone Ajax auch nur die silberne Beinschiene.
Im hier behandelten skythischen Bereich sind leider bisher die vielen (sogenannten) Lanzen-
spitzen nicht näher auf ihre technischen Besonderheiten hin untersucht worden. Es lassen sich
viele Varianten feststellen, sowohl in der Form (besonders der Länge) der Spitzen als auch in
der Länge ihrer Schäfte, die vermutlich der Funktion angepaßt war. Besonders charakteri-
stisch ist das Enden in einem relativ schweren metallischen stumpfen „Lanzenschuh”. Wir
wissen bisher nur wenig darüber, wie diese Waffen eingesetzt wurden. Auf den bildlichen
Darstellungen tauchen sie öfter in einem Zusammenhang auf, der es wahrscheinlich macht,
daß sie besonders gern als Stichwaffen eingesetzt wurden. Es fällt auf, daß in den Gräbern
sehr oft Kombinationen mit zwei Lanzenspitzen unterschiedlicher Länge und Schwere gefun-
den werden. Die in situ angetroffenen Lanzenschuhe gestatten vielfach die Rekonstruktion
der ursprünglichen Länge. Sie liegt gewöhnlich um 2 m, kann aber oft auch 3 m und mehr er-
reichen. Hinzu kommen die an das römische pilum erinnernden Wurfspieße, eine spezielle
Entwicklung in den ukrainischen Waldsteppen, über die jedoch ebenfalls noch keine Spezial-
untersuchung vorliegt. Alle diese Waffen treten auch in Frauengräbern auf, oft ebenfalls paa-
rig angeordnet. Die bisherige Höchstzahl erreicht die junge Frau im Kurgan 16 von Akker-
men’ I mit vier Exemplaren.
Auf den bildlichen Darstellungen von Amazonen aus dem griechisch-kleinasiatischen Raum
ist eine kennzeichnende Waffe die Streitaxt. Obwohl Streitäxte und -pickel in den verschie-
densten Varianten in Skythien gefunden wurden, ist mir bisher noch kein sicherer Befund aus
einem Frauengrab bekannt. Hingegen findet sich mehrfach das Schwert, sowohl in der Kurz-
schwertvariante des Akinakes wie auch als Langschwert. In einigen Fällen sind in den Grä-
bern außerdem sog. Wurfsteine beobachtet, die einzeln, häufig aber auch in Zahlen von drei
bis fünf auftreten. Auch ihre Funktion ist noch nicht näher untersucht. Es könnte sich dabei
sowohl um Schleudern als auch um ein vielleicht bolaähnliches Gerät handeln.
Vergegenwärtigt man sich die Kampfesweise der skythischen Männer und versucht sie anhand
der auftretenden Waffenkombinationen in Frauengräbern in eingeschränktem Maße auf die
Frauen zu übertragen, so ergibt sich, daß Ausdauer, Kraft, Schnelligkeit sowie Geschicklich-
keit und Flexibilität notwendig waren und vermutlich durch gezieltes ständiges Training er-
reicht wurden. Jagd- und Kampfsituationen bedingten eine kurze Reaktionszeit, der Bogen
als Hauptwaffe verlangte Ruhe und Konzentration, die sich als stabil gegen Störfaktoren er-
weisen mußte. Die bildlichen Darstellungen belegen, daß zum Bogenschuß die Zügel oft auf
den Pferdehals fallengelassen wurden bzw. um die Taille des Schützen geschlungen waren.
Beim Reiten (ohne Steigbügel) war dazu wohl nicht nur eine souveräne Beherrschung des Tie-
res, sicher mit vor angegangener gründlicher Dressur, notwendig, sondern auch das gute
Koordinieren von Auge, Arm und Atmung sowie die Aneignung eines präzisen Entfernungs-
und Zeitgefühls.
Was den physischen Typ der „Oiorpata” betrifft, so wird man ihn sich vermutlich sehr mus-
kulös, wenn auch nicht allzu wuchtig vorzustellen haben, da gerade Ausdauer und Geschick-
lichkeit durch Masse gestört werden. Durch die stark fleischhaltige Kost und die Vielseitigkeit
der notwendigen Übungen entsprachen sie vermutlich mehr dem Typ der heutigen Mehr-
kämpferinnen und Distanzreiterinnen: kräftig, flexibel, dabei beweglich und schlank4.
Von den Amazonen des Nordschwarzmeerraumes wird in antiken Schriftquellen mehrfach
4 Den Herren Professoren Dr. W. Henze und Dr. G. Schwarz, Institut für Leibesübungen der Universität Göttingen, danke ich
herzlich für fachmännische Beratung bei der Diskussion dieser, den sportwissenschaftlichen und sportmedizinischen Bereich
berührenden Fragen.

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