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Krüger, Thomas [Editor]; Stephan, Hans-Georg [Editor]; Korbel, Günther [Oth.]; Korbel, Günther [Oth.]; Raddatz, Klaus [Oth.]; Raddatz, Klaus [Honoree]
Materialhefte zur Ur- und Frühgeschichte Niedersachsens (Heft 16): Beiträge zur Archäologie Nordwestdeutschlands und Mitteleuropas — Hildesheim: Verlag August Lax, 1980

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.65795#0346
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den vielen archäologischen Funden — nur indirekte Hinweise. Für die skythischen Frauen er-
gibt sich, beurteilt nach den antiken Autoren, im Gegenteil ein ganz einseitiges Bild, das ih-
nen einen sehr beengten Lebensbereich, im wesentlichen an den nomadischen Reisewagen ge-
fesselt, zuweist. „Mit euren Frauen können wir nicht Zusammenleben; denn wir haben nicht
die gleichen Sitten wie sie. Wir schießen mit Pfeilen und Speeren und leben auf dem Pferd;
Frauenarbeit haben wir nicht gelernt. Eure Frauen hingegen tun nichts von dem, was wir auf-
zählten, sondern leisten Frauenarbeit, bleiben auf dem Wagen, gehen weder auf die Jagd
noch anderswohin” — läßt Herodot (IV 114) die angekommenen Amazonen den skythischen
Jünglingen erklären. Dies und die Tatsache, daß wir bei den Skythen selbst keine Königinnen
erwähnt finden — nur bei den ihnen eng verwandten Massageten und Saken —hat zu einer
gewissen Klischeevorstellung geführt, nach der die Skythinnen im Gegensatz zu den Sauro-
matinnen als streng untergeordnet gedacht werden. Für das Auftreten von „Amazonengrä-
bern” auch in Skythien wurden daher ganz verschiedene Erklärungen gesucht. GANINA
(1958, 183) sah die Ursache in einer Steigerung der militärischen Aktivitäten, durch die, wohl
mehr der Not gehorchend, auch Frauen zu Kriegszwecken herangezogen wurden. Sie stützt
sich dabei auch auf eine Angabe bei Frontin (Kriegslisten 2, 4, 20), nach der der Skythenkö-
nig Ateas im Kampf gegen den feindlichen Stamm der Triballer Frauen und Kinder eingesetzt
haben soll, damit sie zusammen mit den Viehherden von weitem wie herannahende Verstär-
kung aussahen, da ihnen aufwärts gerichtete Lanzen vorangetragen wurden. ILTNSKAJA
(1966, 170) vertritt die Ansicht, daß die jungen Mädchen bis zur Verheiratung ein größeres
Maß an Bewegungsfreiheit und Rechten gehabt hätten und dadurch zur Waffenführung ge-
kommen seien. Sie denkt auch an nach Skythien „verheiratete” Sauromatinnen (dieser An-
sicht neigen auch andere Autoren zu). CHAZANOV (1975, 85 und 280, Anm. 32) betont mit
Recht die große Zahl solcher Bestattungen und führt außerdem an, daß sich unter den mit
Waffen ausgestatteten Frauen auch ältere (30—40 Jahre) finden. Er hält es für „nicht ausge-
schlossen, daß die skythischen Kriegerinnen, welche Ursachen auch immer ihr Auftreten her-
vorgerufen haben mögen, eine besondere soziale Gruppe in der Gesellschaft darstellten”, be-
tont aber, daß seiner Meinung nach die Fakten immer noch dafür sprechen, die Masse der
skythischen Frauen als nicht gleichberechtigt und in abhängiger Lage anzusehen.
Eine andere Ansicht deutet KOVALEVSKAJA (1977, 74) an, die die Ursache für das Auf-
kommen von Amazonen in Besonderheiten der Lebensweise und Wirtschaftsform der eurasi-
schen Viehzüchternomaden vermutet. Mir scheint diese Auffassung vom Ansatz her richtig
zu sein. Bei den Reitervölkern — und damit auch bei den Skythen — konnte sich die Stellung
der Frau und ihr Aufgabenbereich in ganz anderer Form entwickeln als in seßhaften Kultu-
ren. Dies diktierten vermutlich schon die Notwendigkeiten des täglichen Lebens und seine
Gefahren. Sicher mußte von Frauen ein beträchtliches Arbeitspensum erbracht werden, das
körperlichen Einsatz zu Pferd verlangte, auch die Sicherheit der Herden und der Schutz der
Weidegründe oblag ihnen zumindest dann, wenn die männliche Bevölkerung durch Kriegszü-
ge in Anspruch genommen wurde. Sicher traf dies in besonderem Maße für Situationen zu,
die dadurch entstanden, daß Männer im Krieg gefallen bzw. schwer verletzt worden waren.
Es scheint kein Zufall, daß sich Angaben über wehrtüchtige Frauen und sogar professionelle
Kriegerinnen gerade im Bereich der Reiternomaden-Kulturen stark vertreten finden, eine Er-
scheinung, die sich bis ins hohe Mittelalter beobachten läßt6. Was auch immer das Aufkom-
6 Aus byzantinischen Quellen geht hervor, daß die Frauen der Polovcen neben den Männern am Kampf teilnahmen. Auch dies
scheint einen inzwischen faßbaren archäologischen Niederschlag zu haben, s. bei PLETNEVA (1974, Katalog Nr. 1205, S. 74
und 186) eine fast 3 m hohe Steinfigur, die eine solche polovcische „Amazone” mit Säbel, Köcher und Brustplatten darstellt.
Zahlreich sind auch die Hinweise auf waffentragende und kämpfende Frauen bei den Mongolen, die geschickte und ausdau-
ernde Reiterinnen waren und den Männern nicht nachgestanden haben sollen. Diese Nachrichten sind in letzter Zeit in Zwei-
fel gezogen worden (BEZZOLA 1974, 49), doch sollte m. E. in dieser Frage nicht vorschnell und ohne Zuhilfenahme der Ar-
chäologie geurteilt werden.

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