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Deutscher Altphilologenverband [Editor]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 22.1979

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Nr. 1
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https://doi.org/10.11588/diglit.33076#0008

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Allgemeines
„Englisch oder Latein als 1. Fremdsprache?“
Im Grunde genommen geht es doch um die Frage: welche Fremdsprache eignet
sich besser für zehnjährige Kinder: Latein oder Englisch? Und hier sagt einem
der gesunde Menschenverstand, daß für diese Kinder als erste Fremdsprache nur
Englisch in Frage kommt: und zwar ganz einfach deswegen, weil Englisch vom
Wortschatz und vom Formenbau her den Kindern in einer Weise entgegen-
kommt, wie das bei keiner anderen Fremdsprache der Fall ist. Die entscheidende
Frage lautet doch: welche Sprache kommt der kindlichen Psyche mehr entge-
gen: Englisch oder Latein? Und hier liegt die Antwort eigentlich auf der Hand:
aus jugendpsychologischen Gründen kommt nur Englisch in Frage, und zwar an
sämtlichen Schulen.
Professor Dr. Josef Raith
Asamplatz 1
8032 Lochham Süddt. Ztg. 23./24. 9. 1978

Professor Raith hat wohl recht mit der Feststellung, daß Englisch als 1. Fremd-
sprache zehnjährigen Kindern vom Formenbau her in besonderer Weise entge-
genkommt. Ob das beim englischen Wortschatz mit der Unberechenbarkeit
seiner Orthographie auch zutrifft, muß allerdings bezweifelt werden, insbeson-
dere wenn man an die zunehmende Rechtschreibschwäche vieler Schüler auch
am Gymnasium denkt.
Aber zweifellos stellt Englisch als Anfangssprache zunächst wesentlich ge-
ringere intellektuelle Anforderungen als Latein und scheint daher auf den
ersten Blick unter jugendpsychologischem Aspekt die für den Übergang ans
Gymnasium am besten geeignete Sprache zu sein.
Vielleicht kann ich zur Klärung dieses Problems aus der Praxis einige Erfah-
rungen beisteuern, da ich einerseits das Fach Englisch als 1. sowie auch als 2.
Fremdsprache unterrichtet habe und andererseits als Leiter eines Gymnasiums
mit Latein als erster Fremdsprache mit der Problematik der Anfangsfremd-
sprache seit Jahren konfrontiert bin.
Der von der Volksschule übertretende Schüler erwartet vom Gymnasium
nicht die gewohnte Unterrichtsroutine mit nur geringfügigen Variationen, son-
dern ein wesentlich anderes Unterrichtsmilieu, neue Motivationen, Anregungen
und Einblicke. Das Fach, das diese Erwartungen in besonderer Weise erfüllen
kann, ist die Fremdsprache. Kommt der Schüler aus der 5. Hauptschulklasse, ist
Englisch für ihn nichts Neues mehr und daher ohne besonderen Reiz. Der Elan
des Neubeginns kann sich erst gar nicht einstellen, oder verpufft rasch.
Kommt der Schüler aus der 4. Klasse der Grundschule, wird ihn das zwangs-
läufig ziemlich primitive inhaltliche Niveau des englischen Anfangsunterrichts
kaum besonders fesseln können. Der Zwang zum stumpfsinnigen Erlernen von

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