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Deutscher Altphilologenverband [Hrsg.]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 22.1979

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Nr. 3
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Pressespiegel
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https://doi.org/10.11588/diglit.33076#0053

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Seneca hinein. Gegen alle pädagogischen Bemühungen des zeitgenössischen
Lehrkörpers schrieb dieser Römer im 106. seiner moralphilosophischen Briefe
den verhängnisvollen Satz: Non vitae, sed scholae discimus — Nicht für das Le-
ben, sondern für die Schule lernen wir.
Ausgerechnet im friedlichen Österreich ist jetzt ein heftiger Streit um Sene-
ca und die Folgen entbrannt. Speziell geht es darum, ob der Lateinunterricht
für das Leben oder für die Schule betrieben wird. Diente er nur zu Beschäfti-
gung von Altphilologen, dann könnte man ihn nach deren Pensionierung ersatz-
los streichen. Ganz so radikal sagen es die gemäßigten Gegner nicht, obwohl sie
die tote Römersprache für einen elitären Bildungsschnörkel halten. Hertha Firn-
berg, der Wissenschaftsminister, erklärt das Latinum für Jura- und Medizinstu-
denten schlechthin für unnötig. Wenn das schon am grünen Holze der Re-
gierungsbank geschieht! Aber Frau Firnbergs früherer Kollege Gratz, jetzt Bür-
germeister von Wien, sieht das entschieden anders: „Latein abzuschaffen würde
das plötzliche Abschneiden von 2000 Jahren Menschheitsgeschichte bedeuten!“
Die Schere dafür will der ehemalige Unterrichtsminister auf keinen Fall liefern.
Wie man sieht, geht der Riß mitten durch die Regierungspartei, deren Spitze
allerdings mit ihrem Latein noch lange nicht am Ende ist. Fast so leidenschaft-
lich, wie sich John F. Kennedy seinerzeit zum Berliner machte, rief Österreichs
Bundeskanzler jetzt das stolze Wort über die Republik hin: „Ich bin ein
Römer!“ Bruno Kreisky, der zu seinem Bedauern nur ein provisorisches Lati-
num an der Universität nachgeholt hat, reizt seine Parteifreunde mit einem nun
doch recht apodiktischen Satz: „Der erste und einzige politische Unterricht,
der in Österreich gegeben wurde, war in Latein, und zwar Cicero.“ Kein Wun-
der, daß die Sozialistische Jugend dagegen Sturm läuft; sie sieht im Latein eine
konservative Programmierung, „bis hin zu faschistoiden Tendenzen“. Also von
Senecas „Das Leben ist Kampf“ über Mussolinis „Credere, combattere, obe-
dire“ (Glauben, kämpfen, gehorchen) zu neuen antidemokratischen Ultras.
Kann man das alles in einen Römertopf werfen? Es wäre schade, wenn das „Tu,
felix Austria... “ in zehn Jahren kein Österreicher mehr verstünde.
(Aus: Süddt. Zeitg., 24. März 1979)

Nachrichten und Notizen
Saar
Das Saarbrücker Ludwigsgymnasium - mit Abstand die älteste Schule des Saar-
landes (Gründung 1604 durch den Grafen Ludwig von Nassau-Saarbrücken) fei-
ert in diesem Jahr sein 375jähriges Bestehen. Aus diesem Anlaß wird die Schule
eine Festwoche ausrichten (15.-23. September). Auf dem Programm stehen
u.a. Theaterveranstaltungen von Schülern in deutscher, französischer und la-
teinischer Sprache. Besonders gespannt sein darf man auf Sophokles’ Antigone,

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