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Meyer, Carla; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Die Stadt als Thema: Nürnbergs Entdeckung in Texten um 1500 — Mittelalter-Forschungen, Band 26: Ostfildern, 2009

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https://doi.org/10.11588/diglit.34907#0044

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2.1. »Identität« - ein geeignetes Konzept?

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den Wahl, sei es der Königswahl durch das Kurfürstenkollegium im Reich,
dem streng kanonischen Wahlakt durch bischöfliche Kapitel oder klösterliche
Konvente oder den aristokratisch-oligarchischen Verfahren der Magistrats-
bestellungen wie in der Reichsstadt Nürnberg.
Mit der Semantik des modernen Medienwortes »Identität« hat diese spät-
mittelalterlich-frühneuzeitliche Begriffsbestimmung freilich nur wenig gemein.
Mit der Frage nach einer »corporate identity« etwa sind im heutigen Sinn nicht
die normativen Wahlkriterien nach legitimen Stellvertretern einer Korporation
gemeint, wie der Begriff von den Konziliaristen des 15. Jahrhunderts wohl ver-
standen worden wäre. Vielmehr zielt der Begriff auf die Vorstellung eines ein-
heitlichen Gruppenbildes und Selbstverständnisses, das sowohl nach außen als
auch nach innen etwa über Symbole wie Firmenlogos oder »Öffentlichkeitsar-
beit« erzeugt und stabilisiert werden soll/ Obwohl die zeitgenössischen Quel-
len der Vormoderne kein Äquivalent für unseren heutigen Begriff der »Identi-
tät« zu kennen scheinen, ist er aus der modernen Geschichtswissenschaft und
interdisziplinären Forschungsdebatte längst nicht mehr weg zu denken^ - die
historischen und kulturwissenschaftlichen Tagungs- und Forschungsprojekte,
Buch- und Reihentitel, in denen er erscheint, sind Legion/
Als Beispiel für den starken und nachhaltigen Trend dieses Begriffs sei der
Forschungsbereich genannt, in den auch die vorliegende Arbeit zielt: Gerade
die »regionale Identität« ist im so genannten »Europa der Nationen« weit über
eine kleine wissenschaftliche Öffentlichkeit hinaus als Schlagwort präsent. Ent-
gegengesetzt ließe sich sogar formulieren: Zunächst als Antipode der Globali-
sierung, heute dagegen zunehmend positiv umgedeutet als ihr Resonanzboden
rücken regionale Identitäten nun in den Fokus der geschichtswissenschaft-
lichen Forschung. In der Mediävistik wurden kleinere, auf geographische
Räume bezogene und historisch »gewachsene« Entitäten vermehrt seit den
neunziger Jahren aufgegriffen. Dass schon im Hoch- und Spätmittelalter die
regionalen Bezüge das politische Bewusstsein vermutlich stärker prägten und

7 Vgl. Lemma »Corporate Identity, die« in: Duden. Das große Fremdwörterbuch. Herkunft und
Bedeutung der Fremdwörter, hg. und bearb. vom Wissenschaftlichen Rat der Dudenredak-
tion, 2. neu bearb. Aufl. Mannheim, Leipzig, Wien, Zürich 2000, S. 278.
8 Die rasante Karriere des Begriffs begann, so die aktuellen Forschungsresümees, in der In-
dividual-Psychologie der 50er Jahre, vgl. HANS UmicH WEHLER, Die Herausforderung der
Kulturgeschichte, München 1998, Kap. 5, S. 130-135: Erik Erikson, Der unaufhaltsame Sieges-
zug der >Identität<. Aufgegriffen und ergänzt um das Adjektiv »kollektiv« durch die Diszipli-
nen Soziologie und Politikwissenschaften fand der Begriff den Weg über den akademischen
Sprachgebrauch hinaus in Politik und Gesellschaft.
9 In den Jahren 1997 bis 2003 trug etwa der geisteswissenschaftliche Sonderforschungsbe-
reich 541 an der Universität Freiburg das Signalwort der »Identität« im Titel: »Identitäten
und Alteritäten. Die Funktion von Alterität für die Konstitution und Konstruktion von Identi-
tät«, Laufzeit 1. Juli 1997 bis 30. Juni 2003. Vgl. auch die Publikationsreihe des SFBs »Identität
und Alterität«, hg. von HANS-JOACHIM GEHRKE, MONIKA FLUDERNIK und HERMANN SCHWENGEL,
14 Bde., Würzburg 1999-2003. Einen bedeutenden Impuls zur interdisziplinären Forschung
über »Identität« setzte der 1979 erstmals und 1996 unverändert wieder aufgelegte Sammel-
band, der über 50 Beiträgen zum achten Kolloqium der Gruppe »Poetik und Hermeneutik«
1976 in Bad Homburg versammelt: ODO MARQUARD und KARLHEINZ SnERLE (Hg.), Identität, 2.
unveränd. Aufl. München 1996 (Poetik und Hermeneutik 8).
 
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