Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Meyer, Carla; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Die Stadt als Thema: Nürnbergs Entdeckung in Texten um 1500 — Mittelalter-Forschungen, Band 26: Ostfildern, 2009

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.34907#0055

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
54

2. Nürnbergs verschiedene (Er-)Fassungen

>an sich<, sondern immer nur in dem Maße, wie sich bestimmte Individuen zu
ihr bekennen.«^
Dass Assmanns Definition und die durch ihn angestoßene Debatte einen
Wandel der Perspektiven und Fragestellungen in den Geschichtswissenschaf-
ten bewirkte, lässt sich etwa am 2005 von Matthias Werner publizierten Sam-
melband »Spätmittelalterliches Landesbewußtsein in Deutschland« zeigen. Die
in den Beiträgen deutliche Konzentration auf Bewusstseins- und Diskursbil-
dungen wird durch Bernd Schneidmüller im Schlusswort des Bandes als »ein
gewisses Novum« der Landesgeschichtsschreibung bezeichnet.^
Assmanns Postulat ist aber auch nicht unwidersprochen geblieben. Zurecht
kritisierte etwa der Soziologe Jürgen Straub, dass die von Assmann als »Sinn-
horizonte« bezeichneten sozialen Übereinkünfte nicht in jedem Fall und ohne
weiteres als »bewusst« oder gar »rational handhabbar« verstanden werden
müssten.^ Er will nicht nur Bezugspunkte gelten lassen, die Angehörige ei-
nes Kollektivs spontan als einheitlich charakterisieren, sondern auch solche,
die diese Mitglieder des Kollektivs »auf entsprechende >Anfragen< hin und
nach einem womöglich eingehenden >Mit-sich-zu-Rate-Gehen< beschreiben
zcMr&n.«^ Eine solche Nachfrage ist freilich nur möglich für auf die Gegenwart
bezogene Studien, nicht aber in der Retrospektive auf vergangene Gesellschaf-
ten. Als Arbeitsdefinition für die Analyse historischer Quellen ist Assmanns
Definition damit meines Erachtens alternativlos.
Eine durch die Forschung im Rückblick zusammen getragene Sammlung
von technischen, künstlerischen, ökonomischen, politischen Indizien für die
Nürnberger »Blütezeit« um 1500 kann also noch nicht genügen für den Rück-
schluss, dass die Nürnberger um 1500 auch Stolz auf ihre Stadt empfanden.
Auch die fortschreitende Explizierung und Verschriftlichung von geltendem
Nürnberger Recht und Nürnberger Verwaltung im Spätmittelalter, die der For-
schung ein immer exakteres Bild des Stadtorganismus und seiner Institutionen
zu zeichnen erlaubt, kann nicht uneingeschränkt für die »Produktion« einer
Nürnberger »Identität« in Anspruch genommen werden. Für eine feinere Diffe-
renzierung und Auswahl der Zeitzeugnisse möchte ich daher auf die durch Jan

56 AssMANN, 2002, S. 132. Für die enge, nicht auseinander zu denkende Beziehung dieser beiden
zumeist mit den Adjektiven »personal« und »kollektiv« unterschiedenen Identitäten plädiert
nicht nur AssMANN, 2002, S. 130, sondern etwa auch WAGNER, 1998, S. 45f. »Personale« Iden-
tität werde in den meisten Fällen »sozial« sein in dem Sinne, dass sie Beziehungen zu ande-
ren Menschen und zu einer bedeutsamen Orientierung im eigenen Feben darstellt, während
kollektive Identität wiederum nur entstehen könne, wenn eine Mehrzahl einzelner Menschen
die für sie bedeutsamen Orientierungen ihrer personalen Identitäten auf dasselbe Kollektiv
richten.
57 ScHNEiDMÜLLER, 2005a, S. 398.
58 STRAUB, 1998, S. 103f.
59 STRAUB, 1998, S. 104. S. dazu auch die methodisch-theoretischen Überlegungen des Historikers
PETERSOHN, 2008, S. 53-58, im Hinblick auf die durch ihn untersuchten »Bewußtseinsinhalte
und Vorstellungen, die die handelnden und reflektierenden Zeitgenossen mit dem Namen
bzw. dem Begriffsinhalt >Franken< [...] im räumlichen und personellen Verständnis dieser Grö-
ße verbanden« (S. 58).
 
Annotationen