Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Meyer, Carla; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Die Stadt als Thema: Nürnbergs Entdeckung in Texten um 1500 — Mittelalter-Forschungen, Band 26: Ostfildern, 2009

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.34907#0249

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
248

2. Nürnbergs verschiedene (Er-)Fassungen

Stadt, vom Material und Umfang der Mauern, von Breite und Höhe der Grä-
ben/ Die Beschreibung des Celtis ist also keineswegs nur als Topos und damit
als Zeugnis einer stabilen Gattungstradition zu registrieren, sondern fußt eben-
so auf Autopsie und empirischer Beschreibung, die für Nürnberg spezifizierte,
individualisierende Zuschreibungen enthält. Auch häufig wiederkehrenden
Elementen und Themen ist damit nicht von vornherein die Authentizität ab-
zusprechen/
Als zweiter Garant für die »Wirklichkeitstreue« von Stadtschilderungen gilt
vielen Studien die Augenzeugenschaft, die ein Autor für seine Darstellung ins
Feld führt/ Doch auch hier ist Vorsicht geboten: Ein Blick in das Werk von
Hans Sachs, etwa in die bereits im Kapitel 2.3.7. präsentierten Rollengedichte,
genügt, um gerade die so genannte »Autopsie« als häufig und gern genutzte
literarische Strategie zu entlarven. In der 1535 datierten Hzsfon% von hnscr-
Fc/ien sieg in A/noz in /(önigreieiz Tnnis etwa soll sie dem Dialog zwischen dem als
Kleinkrämer aus dem Nürnberger Umland fingierten Sprecher-Ich und dem
namenlosen Alten Authentizität verleihen. Obwohl jedoch die beiden Dialog-
partner und somit auch die für sie in Anspruch genommene Augenzeugen-
schaft als Fiktion anzusprechen sind, ist Sachsens Ereignisschilderung über die
Feiern in Nürnberg anlässlich des fernen Siegs Kaiser Karls V. in Nordafrika
keineswegs der historische Wert abzusprechen.
Als dritter Gradmesser schließlich, der zwar selten offen artikuliert, jedoch
häufig intuitiv an das Quellenmaterial angelegt wird, ist die Frage zu nennen,
inwieweit Texte dieses Genres auf einer Skala zwischen den Polen der - als
neutral konnotierten - desenpho und der - als parteilich gedeuteten - Panegyrik
einzuordnen seien. Hinter dieser Frage verbirgt sich einmal mehr der Verdacht
der Schönfärberei, dem die Städtelobtexte und ihre Autoren aus der modernen
Perspektive latent aus gesetzt sind. Klaus Arnold ist in seinem Fragenkatalog
zur Beurteilung der Textsorte sogar noch einen Schritt weiter gegangen, indem
er den Wert der jeweiligen Quelle daran gemessen haben will, ob darin Kritik
an der Stadt und somit gegenüber der Stadtobrigkeit möglich sei. Ein Inter-
pretament jedoch, das jedes Fob tendenziell als Beschönigung und Verzerrung
einer unzureichenden Stadtwirklichkeit, Kritik aber pauschal als Nachweis der
Glaubwürdigkeit zu werten bereit ist, operiert mit denselben problematischen

1 Conrad Celtis, Non'mNrga, ed. WERMiNGnoFF, 1921, S. 130-134.
2 Nichtsdestotrotz ist von einer von unseren modernen Vorstellungen abweichenden Be-
wertung des Verhältnisses zwischen empirischer Beobachtung und angelesenem Wissen
auszugehen. Als Beleg dafür sei ein Kommentar Piccolominis in einem Brief an Herzog
Sigismund von Österreich, datiert vom 5. Dezember 1443, angeführt: tarn WMifa
expen'MMdo N&Ns, tpzzzm mtüfz? Cgcndo penü'sces - niemals, so ermahnt er seinen fürstlichen
Schüler, werde er durch eigene Erfahrung soviel erkennen, wie er durch die Lektüre erler-
ne. Ed. Enea Silvio Piccolomini, Papst Pius II. Ausgewählte Texte aus seinen Schriften hg.,
übers, und biographisch eingeleitet von BERTHE WiDMER, Basel, Stuttgart 1960, S. 280-288,
hier S. 284.
3 Vgl. etwa WEissHAAR-KiEM, 1982, S. 44, die vom »Anspruch auf Objektivität« spricht, den sol-
che Augenzeugenberichte für sich zu reklamieren vermöchten.
 
Annotationen