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Meyer, Carla; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Die Stadt als Thema: Nürnbergs Entdeckung in Texten um 1500 — Mittelalter-Forschungen, Band 26: Ostfildern, 2009

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https://doi.org/10.11588/diglit.34907#0250

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2.4. Nürnberg in Städtelob und Stadtbeschreibung

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Werturteilen, die im Bereich der Historiographie mit den Adjektiven »offiziös«
und »autonom« getroffen werdend
Welche Konsequenzen ergeben sich nun aus diesen Überlegungen für Ar-
nolds ebenso elementare wie skeptische Frage, ob sich im Städtelob überhaupt
das Selbstverständnis eines Gemeinwesens zu spiegeln vermöge? Mit Hartmut
Kugler lässt sich für eine generelle Aufwertung des Quellengenres Städtelob
und Stadtbeschreibung plädieren, die aus einem entscheidenden Perspektiv-
wechsel resultiert. Statt Stadtbild und -Wirklichkeit aneinander abgleichen zu
wollen, ist der Prozess der Wahr-Nehmung ins Zentrum zu rücken. Dieser
Perspektivwechsel geht von der zentralen These aus, dass ohne ein gewisses
Vorverständnis eines Gegenstandes dieser Gegenstand nicht begriffen (nicht
»gesehen«) und erst recht nicht schriftlich dargestellt werden kann. Vor die-
sem Hintergrund aber sind Topoi als literarische Schablonen und Denkmuster
zu begreifen. Sie geben die Richtung vor, was »in den Blick« beziehungsweise
wovon »Notiz zu nehmen« lohnt. Sie bieten ein Reservoir an Formulierungen
und Begrifflichkeiten, mit denen die Eindrücke und Beobachtungen festgehal-
ten werden können. Sie fungieren als ein Raster von Vorstellungen und Bewer-
tungen, das an den jeweiligen Gegenstand angelegt, ihm »anprobiert« und ge-
gebenenfalls angepasst wird. Zwischen literarischem Stereotyp und sinnlicher
Wahrnehmung des einzelnen lässt sich also nicht scharf scheidend
Aus den Versuchen der Schriftsteller, sich des Stadtthemas zu bemächtigen,
kann man damit die Spuren einer gesellschaftlichen Bewusstseinsbildung her-
auslesen, die über die bloße Aneignung und Anwendung literarischer Tech-
nik und poetischer Kompetenz weit hinausreicht. Erfragbar sind einerseits die
Konstituenten, aus denen sich die Leitbilder des Stadtverständnisses bilden,
andererseits aber auch die literarisch fixierten Denkformen, die dem mittel-
alterlichen Zeitgenossen das ihm - im Wortsinn - »Bemerkenswerte« seiner
Stadt bewusst werden ließen.^ Positiv gewendet ließe sich daher davon aus-
gehen, dass die Autoren nicht einfach gedankenlos kompilierten, was sie bei
älteren Autoritäten vorfanden. Vielmehr etablierte sich ein Repertoire an The-
men, Epitheta und Topoi als eine Form der Konsensbildung der Zeitgenossen
darüber, was »Nürnberg« charakterisiert und mit dem Namen der Stadt ver-
bunden wird.

4 Um diesen Werturteilen zu entgehen, plädiert KuGLER, 1986, S. 31, daher, die Texte nicht als
Schönfärberei, sondern als Entwurf zu verstehen: »Einer Stadt, wie sie ist, stellt der Text die
Stadt, wie sie sein soll, gegenüber.« S. auch ebd., S. IX: Auch wenn die in den Texten präsen-
tierten Modelle »oft genug in Gegensatz, ja in Widerspruch zur historischen Wirklichkeit der
Stadt« geraten seien, so waren sie nach Kugler jedoch »aufnahmefähig für Wunschbilder, für
uneingelöste Erwartungen, Entwürfe, Ansprüche, Ängste, die das mittelalterliche Nachden-
ken über die Stadt mitgeprägt haben.«
5 Vgl. dazu KuGLER, 1986, S. 37, S. 178 und S. 198, sowie DERS., Gelobtes Bamberg. Stadt und
Land im humanistischen Denken, in: Literatur in der Stadt, hg. von HoRST BRUNNER, Göppin-
gen 1982, S. 100-119, hier S. 104.
6 Vgl. dazu neben Kugler auch den instruktiven Aufsatz von ERicn KLEiNScnMiDT, Textstädte.
Stadtbeschreibung im frühneuzeitlichen Deutschland, in: Das Bild der Stadt in der Neuzeit
1400-1800, hg. von WoLFGANG BEHRiNGER und BERND RoECK, München 1999, S. 73-80.
 
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