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Meyer, Carla; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Die Stadt als Thema: Nürnbergs Entdeckung in Texten um 1500 — Mittelalter-Forschungen, Band 26: Ostfildern, 2009

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https://doi.org/10.11588/diglit.34907#0347

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346

3. Goldene Zeit oder Krisenzeit?

Trotz der hier referierten Einwände soll das in den vorangegangenen Kapi-
teln skizzierte Quellenkorpus nochmals mit dem Fokus auf dem Konnex zwi-
schen Identität und Krise beleuchtet werden. Allerdings wollen die folgenden
Kapitel die darin explizierten oder zwischen den Zeilen präsenten Krisen nicht
schlicht als pathologisches Symptom diagnostizieren. Wenn Nürnberg um
1500 als in vielfacher Hinsicht krisenerschüttert beschrieben wird/ so ist dar-
aus auch keine Verfalls-, sondern vielmehr eine Erfolgsgeschichte abzuleiten:
Denn Krisen führen nicht zwangsläufig zu Destruktion und Niedergang, son-
dern können ebenso den Motor für gemeinsame Anstrengungen, Fortschritte,
ja Triumphe darstellen, auf die mit Stolz geblickt werden kann. Im Folgenden
soll daher zugleich stets die Frage nach den in den Zeitzeugnissen fassbaren In-
klusionsprozessen und ihren Integrationsleistungen mitbedacht werden. Auch
in dieser Frage lohnt sich ein weiteres Mal ein methodischer Seitenblick in die
Psychologie: In Eriksons vor allem an der Febensphase der Adoleszenz entwi-
ckeltem Modell werden die Krisen und ihre Bewältigung letztlich als Auslöser
relativiert für das über den konkreten Anlass weit hinaus reichende und posi-
tiv konnotierte Nachdenken über das eigene Sein. Krisen und Anfechtungen
- überträgt man diese Vorstellungen auf das Kollektiv der Reichsstadt - sind
damit als Anstoß zu beschreiben, der den etwa im Genre des Städtelobs so ein-
drucksvoll fassbaren Reflexionsprozess über die »Einheit und Nämlichkeit«
Nürnberger Identität um 1500 zwar in Gang setzte - aber nicht ausmachte.
Nicht nur die »Identität«, auch der Komplementärbegriff der »Krise« ist de-
finitions- und diskussionsbedürftig. Nach Rudolf Schlögl steht er vage dafür
ein, »Transformationen der sozialen, ökonomischen, politischen und kulturel-
len Ordnung zu beschreiben und objektive Veränderungen und ihre zeitgenös-
sische Wahrnehmung in einen Erklärungszusammenhang zu bringen.«^ Der
Krisenbegriff soll im Folgenden bewusst offen und unscharf gebraucht wer-
den: Nicht immer muss es die akute Krisensituation sein - etwa im Fall der
im Kapitel 3.2. fokussierten äußeren Anfechtungen -, die augenscheinlich die
Notwendigkeit städtischer Selbstvergewisserung und das Bemühen nach sich
zogen, die gemeinsamen Grundlagen und Werte des Kollektivs zu definieren.^

wandet und Traditionsverhalten, hg. von WALTER HAUG und BuRGHART WACHiNGER, Tübingen
1991 (Fortuna Vitrea 5), S. 121-144.
9 Vgl. dazu das Urteil Pierre Mortnets über die Frankfurter Historiographie des späten Mittel-
alters: »11 importe d'emblee de souligner que Thistoriographie francfortoise tout entiere parait
scandee par le rythme des crises et des dangers qui menacent la ville.« Vgl. PiERRE MoNNET,
Particularismes Urbains et Patriotismes Local [sic] dans une ville allemande de la fin du Moy-
en Age: Francfort et ses chroniques, in: Identite Regionale et Conscience Nationale en France
et en Allemagne du Moyen Age ä l'Epoque Moderne, hg. von RAINER BABEL und jEAN-MARiE
MoEGUN, Sigmaringen 1997, S. 389-400, hier S. 391.
10 RuDOLF ScHLÖGL, Call for Papers für die Tagung »Krise als Form gesellschaftlicher Selbst-
beobachtung und historiographischer Beschreibung (in) der Frühen Neuzeit«, Konstanz,
12.-14. Juli 2007, URL: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/termine/id=6506 (11. Dezember
2008).
11 Zu dieser vagen Begriffsbestimmung vgl. REiNHART KosELLECK, Art. Krise, in: Geschichtliche
Grundbegriffe 3, Stuttgart 1982, S. 617-650, bes. S. 617, mit der Bestimmung: »>Krise< kann
sowohl, als >chronisch< begriffen, Dauer indizieren wie einen kürzer- oder längerfristigen
Übergang zum Besseren oder Schlechteren oder zum ganz Anderen hin; >Krisis< kann ihre
 
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