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Meyer, Carla; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Die Stadt als Thema: Nürnbergs Entdeckung in Texten um 1500 — Mittelalter-Forschungen, Band 26: Ostfildern, 2009

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https://doi.org/10.11588/diglit.34907#0479

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478

5. Epilog

Die Bedeutung der städtischen Vergangenheit spiegelt sich auch im Kon-
zept des Wiederaufbaus. Zwar entschied man sich, nur solche Gebäude zu re-
konstruieren, von denen noch Bausubstanz vorhanden war. Doch die moderne
Architektur der fünfziger und sechziger Jahre um diese »Traditionsinseln« her-
um sollte sich an den Proportionen ihrer Vorgänger orientieren. Die neuen Ge-
bäude nahmen sich mit ihrem Blendmauerwerk aus lokalem »Burgsandstein«,
ihren Steildächern und der vorgeschriebenen Traufseitigkeit die verlorenen
Häuser zum Vorbild, so dass in der Wahrnehmung von Einheimischen wie Tou-
risten das Zentrum der Stadt auch heute noch »Altstadt« ist. Als »alte Stadt«
wurde dabei - wie schon bei den denkmalpflegerischen »Purifizierungen« des
19. Jahrhunderts^ - das »mittelalterliche« Nürnberg verstanden; die späteren
Bauperioden wurden weitgehend vernachlässigt. Der amerikanische Kultur-
wissenschaftler Stephen Brockmann wertete den Wiederaufbau der Stadt da-
her als »calculated program of beautification and authentification«. Aufreizend
verglich er die Stadt mit Schloss Neuschwanstein, ja sogar Disneyland. Diese
stadtplanerischen Ziele - in Brockmanns Worten: »renewing its oldness and
reinfordng its authenticity«^ - erinnern unwillkürlich an die literarischen Stra-
tegien der spätmittelalterlichen Humanisten, der Stadt nicht nur durch immer
weiter in die Vergangenheit hinaus geschobene Ursprungsmythen, sondern
auch mit dem Mittel der Idealisierung Dauer und Geltung zu erschreiben.
Das Motiv der dürerzeitlichen Stadt überdauerte also selbst das Trümmer-
feld der Nachkriegszeit. Doch überlebte zugleich auch die nationale Stoßrich-
tung des Nürnberg-Mythos aus dem 19. und beginnenden 20. Jahrhundert?
Ja, müsste die Antwort lauten, glaubt man den giftigen Worten Klaus Bitter-
manns, wenn er in seinem erstmals 1998 publizierten »Städteverriss« über die
»geziert-idyllische, geistig beengte Zuckerbäckerstadt« ätzt, die Nürnberg »seit
jeher« gewesen sei: »Nicht mal die Alliierten schafften es, aus Nürnberg etwas
anderes zu machen, obwohl sie sich große Mühe gegeben und tonnenweise
Bomben abgeworfen hatten; denn rechnen konnten sie nicht damit, dass der
Brei aus Lebkuchen, Bratwurst und Nazis so zäh sein würde.«^
In der Tat spielte der Konnex zwischen dem Los der Stadt und dem Schick-
sal der Nation auch nach dem Krieg durchaus noch eine Rolle: Der Göttinger
Historiker und Nürnberg-Spezialist Hermann Heimpel etwa suchte bei seiner
Lestrede anlässlich der Neunhundertjahrfeier der Stadt im Nürnberger Les-
singtheater 1950 den »Zusammenhang deutlich zu machen, der die besondere
Geschichte Nürnbergs mit der allgemeinen Geschichte Deutschlands verbin-
det«. Er fand ihn im »Reich des Mittelalters« und damit »in der Zeit, in der Bei-
de wurzeln, Deutschland und Nürnberg«.^ Auch für Heimpels Kollegen Hanns
Hubert Hofmann, einen gebürtigen Nürnberger, blieb Nürnberg - wie er auf

6 Zu den denkmalpflegerischen Zielen im Dritten Reich vgl. oben S. 12, Anm. 10.
7 BROCKMANN, 2006, S. 3.
8 KLAus BiTTERMANN, S'wädschowiddä oder: Der lange Abschied (Nürnberg), in: Best of Öde
Orte. Ausgewählte Städteverrisse, hg. von JÜRGEN Rom und RAYK WiELAND, Leizpig 2005,
S. 187-191, hier S. 187.
9 HEIMFEL, 1951, S. 1.
 
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