28 I. Konzeptionelle Rahmenbedingungen mittelalterlicher Judendarstellung
1.3 Wandel des mittelalterlichen Christusbildes
Einen starken Einfluss auf die Wahrnehmung der Juden - besonders bei den Laien -
dürften sinnlich wahrnehmbare Darstellungen des biblischen Geschehens gehabt ha-
ben. Für die Wahrnehmung der Juden und den Transport von antijüdischen Stereo-
typen spielen vor allem die Bilder des Passionsgeschehens eine wichtige Rolle.^ Beson-
ders problematisch an diesen Darstellungen ist die Vermischung der Zeitebenen: die
am Geschehen beteiligten Juden werden mit Attributen der zeitgenössischen Juden ge-
kennzeichnet. ^
Beim Vergleich von Kreuzigungsszenen aus verschiedenen Jahrhunderten fallen
zwei deutliche Veränderungen auf. Erstens in der Darstellung des Gekreuzigten selbst,
dessen bildliche Charakterisierung sich vom siegreichen Weltenherrscher zum phy-
sisch leidenden Schmerzensmann wandelt.^ Zweitens in der Darstellung der Juden
kurz vor und während der Kreuzigung.^ Die Juden werden dabei zwischen Gethse-
mane und Golgatha nicht nur (und entgegen den Berichten in den vier Evangelien) zu
den eigentlichen Vollstreckern der Kreuzigung; sie werden vermehrt als bösartige
Täter und Folterknechte dargestellt, deren Sadismus keine Grenzen zu kennen scheint
(vgl. unten ab S. 49).
Um das Spektrum der möglichen Christusdarstellungen aufzuzeigen, folgt eine
kurze Betrachtung zweier Extremformen der Passionsikonographie: die Kreuzigung
aus dem frühmittelalterlichen Werk »De laudibus sanctae crucis« des Hrabanus Mau-
rus (+ 856) und die Kreuzigungsszene am Isenheimer Altar des Matthias Grünewald
(+ 1528). Zwischen den beiden Darstellungen liegen nicht nur siebenhundert Jahre, son-
dern auch zahlreiche Varianten in der Darstellung der Kreuzigung. Es soll mit diesen
beiden Bildern keinesfalls suggeriert werden, dass sich von Hrabanus zu Grünewald
ein durchgehender Bogen in der Kreuzigungsikonographie schlagen lässt. Vielmehr
werden die beiden Illustrationen als Extrembeispiele auf der Skala des darstellbaren
Leidens des Gekreuzigten verstanden, die aber sehr wohl für ihre Zeit typisch sind,
und dadurch wesentliche Hinweise auf die Vorstellungswelt ihrer Umgebung geben
können.
Zur Wirkung von Passionsbildern allgemein vgl. HANS BELTING, Das Bild und sein Publikum
im Mittelalter. Form und Funktion früher Bildtafeln der Passion, Berlin '2000.
Vgl. bes. BERNHARD BLUMENKRANZ, Le juif medieval au miroir de l'art chretien, Paris 1966.
Das Bild des leidenden Gerechten, der die Sünden der Welt unter physischen Schmerzen auf
sich nimmt, existiert als Motiv bereits bei Jesaja (»Gottesknecht«), bes. Jes 53,1-12, und wird
erstmals von Matthäus kurz vor der Schilderung der Kreuzigung christologisch eingesetzt
(Mt 8,17): »Dadurch sollte sich erfüllen, was durch den Propheten Jesaja gesagt worden ist:
Er hat unsere Leiden auf sich genommen und unsere Krankheiten getragen.« Zur verstärkten
Wahrnehmung des Leidens Christi unter Einfluss der Zweinaturenlehre im Hochmittelalter
vgl. EWERT COUSINS, Die menschliche Natur Christi und seine Passion, in: Geschichte der
christlichen Spiritualität, Bd. 2: Hochmittelalter und Reformation, hg. von Jill Riatt et al.,
Würzburg 1995, S. 383-399.
Vgl. dazu grundlegend FREDERICK P. PICKERING, Das gotische Christusbild. Zu den Quellen
mittelalterlicher Passionsdarstellungen, in: Euphorion 47 (1953), S. 16-37.
1.3 Wandel des mittelalterlichen Christusbildes
Einen starken Einfluss auf die Wahrnehmung der Juden - besonders bei den Laien -
dürften sinnlich wahrnehmbare Darstellungen des biblischen Geschehens gehabt ha-
ben. Für die Wahrnehmung der Juden und den Transport von antijüdischen Stereo-
typen spielen vor allem die Bilder des Passionsgeschehens eine wichtige Rolle.^ Beson-
ders problematisch an diesen Darstellungen ist die Vermischung der Zeitebenen: die
am Geschehen beteiligten Juden werden mit Attributen der zeitgenössischen Juden ge-
kennzeichnet. ^
Beim Vergleich von Kreuzigungsszenen aus verschiedenen Jahrhunderten fallen
zwei deutliche Veränderungen auf. Erstens in der Darstellung des Gekreuzigten selbst,
dessen bildliche Charakterisierung sich vom siegreichen Weltenherrscher zum phy-
sisch leidenden Schmerzensmann wandelt.^ Zweitens in der Darstellung der Juden
kurz vor und während der Kreuzigung.^ Die Juden werden dabei zwischen Gethse-
mane und Golgatha nicht nur (und entgegen den Berichten in den vier Evangelien) zu
den eigentlichen Vollstreckern der Kreuzigung; sie werden vermehrt als bösartige
Täter und Folterknechte dargestellt, deren Sadismus keine Grenzen zu kennen scheint
(vgl. unten ab S. 49).
Um das Spektrum der möglichen Christusdarstellungen aufzuzeigen, folgt eine
kurze Betrachtung zweier Extremformen der Passionsikonographie: die Kreuzigung
aus dem frühmittelalterlichen Werk »De laudibus sanctae crucis« des Hrabanus Mau-
rus (+ 856) und die Kreuzigungsszene am Isenheimer Altar des Matthias Grünewald
(+ 1528). Zwischen den beiden Darstellungen liegen nicht nur siebenhundert Jahre, son-
dern auch zahlreiche Varianten in der Darstellung der Kreuzigung. Es soll mit diesen
beiden Bildern keinesfalls suggeriert werden, dass sich von Hrabanus zu Grünewald
ein durchgehender Bogen in der Kreuzigungsikonographie schlagen lässt. Vielmehr
werden die beiden Illustrationen als Extrembeispiele auf der Skala des darstellbaren
Leidens des Gekreuzigten verstanden, die aber sehr wohl für ihre Zeit typisch sind,
und dadurch wesentliche Hinweise auf die Vorstellungswelt ihrer Umgebung geben
können.
Zur Wirkung von Passionsbildern allgemein vgl. HANS BELTING, Das Bild und sein Publikum
im Mittelalter. Form und Funktion früher Bildtafeln der Passion, Berlin '2000.
Vgl. bes. BERNHARD BLUMENKRANZ, Le juif medieval au miroir de l'art chretien, Paris 1966.
Das Bild des leidenden Gerechten, der die Sünden der Welt unter physischen Schmerzen auf
sich nimmt, existiert als Motiv bereits bei Jesaja (»Gottesknecht«), bes. Jes 53,1-12, und wird
erstmals von Matthäus kurz vor der Schilderung der Kreuzigung christologisch eingesetzt
(Mt 8,17): »Dadurch sollte sich erfüllen, was durch den Propheten Jesaja gesagt worden ist:
Er hat unsere Leiden auf sich genommen und unsere Krankheiten getragen.« Zur verstärkten
Wahrnehmung des Leidens Christi unter Einfluss der Zweinaturenlehre im Hochmittelalter
vgl. EWERT COUSINS, Die menschliche Natur Christi und seine Passion, in: Geschichte der
christlichen Spiritualität, Bd. 2: Hochmittelalter und Reformation, hg. von Jill Riatt et al.,
Würzburg 1995, S. 383-399.
Vgl. dazu grundlegend FREDERICK P. PICKERING, Das gotische Christusbild. Zu den Quellen
mittelalterlicher Passionsdarstellungen, in: Euphorion 47 (1953), S. 16-37.