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Haeberli, Simone; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Der jüdische Gelehrte im Mittelalter: christliche Imaginationen zwischen Idealisierung und Dämonisierung — Mittelalter-Forschungen, Band 32: Ostfildern, 2010

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.34910#0279

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266

III. Jüdische Gelehrtenfiguren in der mittelhochdeutschen Literaur

111.4.1 Rosenplüts Rabbi versteigt sich in höchste Deutungssphären
Hans Rosenplüt gehört zu den frühen Vertretern der so genannten Handwerkerdichter.
Im Jahr 1426 erwirbt er das Nürnberger Bürgerrecht, ein Jahr später den Meistertitel als
sarwiirlzt, als Kettenhemdmacher/ Sein Geburtsort und seine Lebensdaten können nur
vermutet werden: er dürfte um 1400 im Umkreis von Nürnberg geboren und aller Wahr-
scheinlichkeit nach im Sommer 1460 gestorben sein.' Literarisch bewegt sich Rosenplüt
vor allem in den drei Gattungen Reimpaardichtung, Priamel und Fastnachtsspiel, wo-
bei seine Autorschaft nicht bei allen Werken zweifelsfrei feststeht.^ In zwei seiner Reim-
paarsprüche lässt er auch Juden zu Wort kommen. Auffällig ist sein unpolemischer
Umgang mit den jüdischen Figuren und dem Thema allgemein. So widmet er in der
zweiten Fassung seiner >Fünfzehn Klagern eine Klage den Juden und unterstreicht,
dass ihre Not wahrlich nicht gering ist: wollen sie konvertieren, müssen sie massive fi-
nanzielle Einbußen in Kauf nehmen. Bleiben sie hingegen Juden, dürfen sie kein Hand-
werk betreiben und müssen sich zwangsläufig auf Geldgeschäfte verlegen. Aber selbst
diese Existenzgrundlage ist gefährdet, da seit Neuestem jeder Geld auf Zins verleihen
darf/* Eine so nüchterne und realistische Einschätzung der spätmittelalterlichen Le-
benslage der Juden, aus der man durchaus Kritik an der christlichen Judenpolitik lesen
kann, ist für das spätmittelalterliche Nürnberg sehr ungewöhnlich. Auch die Juden
und der disputierende Rabbi in Rosenplüts >Ein Disputatz eins Freiheits mit eim Ju-
den^ bedienen noch keineswegs die gehässigen Stereotypen, die man im spätmittel-
alterlichen Umfeld Nürnbergs zu vermuten gewohnt ist.
In einer niederländischen Stadt ist es - ohne dass man den Grund hierfür erfährt -
zu einem heftigen Streit zwischen den Christen und Juden gekommen. Ein alter Jude
erkennt schließlich, dass der Streit für alle bedrohlich wird, und interveniert bei den
Stadtbehörden. Er schlägt dem Rat vor, einen Tag anzuberaumen, an dem ein christli-
cher meister gegen einen ebenfalls gelehrten Juden antreten soll (V. 14-20). Wer den
anderen in der Disputation besiegt, beweist damit die Wahrheit seiner Religion. Ent-
sprechend sollen die Verlierer ^enziich zihen auf? der stet, / uon erF, uon dgen, was er /rat

Vgl. INGEBORG GLIER, Hans Rosenplüt, in: Deutsche Dichter der Frühen Neuzeit (1450-1600).
Ihr Leben und Werk, hg. von Stephan Füssel, Berlin 1993, S. 71-82, hier: S. 71.
JÖRN REICHEL, Der Spruchdichter Hans Rosenplüt. Literatur und Leben im spätmittelalter-
lichen Nürnberg, Stuttgart 1985, S. 129 und 151f.
Zum Werk Hans Rosenplüts vgl. HEINZ VON SCHÜCHING, Vorstudien zu einer kritischen
Ausgabe der Dichtungen von Hans Rosenplüt, Diss. masch. Harvard 1952; HANNS FISCHER,
Studien zur deutschen Märendichtung, Tübingen 1968; HANSJÜRGEN KIEPE, Die Nürnberger
Priameldichtung. Untersuchungen zu Hans Rosenplüt und zum Schreib- und Druckwesen
im 15. Jahrhundert, München/Zürich 1984; INGEBORG GLIER, Hans Rosenplüt als Mären-
dichter, in: Kleinere Erzählformen des Mittelalters. Paderborner Colloquium 1987, hg. von
Klaus Grubmüller et al., Paderborn et al. 1988, S. 137-149.
Hans Rosenplüt, Die fünfzehn Klagen, in: Hans Rosenplüt, Reimpaarsprüche und Lieder
(= Altdeutsche Textbibliothek 105), hg. von Jörn Reichel, Tübingen 1990, S. 138-159, Judenklage
S. 157 (nur Fassung B!): Die Jude?: cia^ezz ad ^ezzzaz'zz / Ir zzot, die z'si zoariz'cF zzz'i idaz'zz; / Wezzzz sz' ^erzz
zoöitezz cFrz'stezz sez'zz, / So straf zzzazz sz' Fez' Izolzer pez'zz. / Ir ^z'zter zzzz'zssezzs zzzez'dezz ^ar, / Sozzst iez'd sz' zzz't
der clzrz'steiz sclzar; / So zzzz'zssezz sz' dezzzzfzzdezz piez'Fezz. / AzzcF iail zzzazz sz' Faz'zz Fazzhoerd trez'Fezz, / Dar-
zzzz't sz' sz'clz zooi zzzöcdtezz zzerezz / LIzzd sz'clz azzed nozz dezzz zozzocFer Ferezz. / Sz' zzzz'zssezz sz'clz ^ar nz'i eriez'dezz. /
Ir zzarzzzz^ tdzzo zzzazz z'zz aFscFzzez'dezz / Mz'f az'zzezzz ^zoerF, Faz^ zozzoedrei. / Der sei z'etz az'zzezzz z'edezzfrez'.
Hans Rosenplüt, Ein Disputatz eins Freiheits mit eim Juden, in: Novellistik des Mittelalters.
Märendichtung (= Bibliothek des Mittelalters 23), hg. von Klaus Grubmüller, Frankfurt a.M.
1996, S. 978-1001 (mit Stellenkommentar S. 1341-1349). Zitate nach dieser Ausgabe.
 
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