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Haeberli, Simone; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Der jüdische Gelehrte im Mittelalter: christliche Imaginationen zwischen Idealisierung und Dämonisierung — Mittelalter-Forschungen, Band 32: Ostfildern, 2010

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https://doi.org/10.11588/diglit.34910#0125

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II. Christliches Sprechen über jüdische Gelehrte

Daneben gilt er naheliegenderweise auch als Gewährsmann für das Alte Testament
und jüdische Traditionen.'
Aussagen eines Rabbi als Christusbeweise zu lesen, bedeutet, ihn - einen Falsch-
gläubigen! - genauso in den Dienst des Christentums zu stellen, wie dies mit den Pro-
phezeiungen der hebräischen Bibel gemacht wurde. Diese Verwendung von rabbini-
scher Autorität ist zur Zeit Nicholas' eine noch junge Tradition. Sie kommt erst im Ge-
folge der Talmudprozesse von Paris 1240-1248 und Barcelona 1263 auf. Diese neue
Taktik wird vornehmlich von hebraistisch tätigen Exponenten des Dominikanerordens
entwickelt und in der neu einsetzenden Judenmission verwendet.

11.4.6 Jüdische Autorität im Dienst des Christentums
Wichtigster Exponent der neuen argumentativen Taktik, in jüdischen Schriften Belege
für christliche Dogmen wie die Messianität Jesu zu finden, ist der spanische Hebraist
und Arabist Raimundus Martini (um 1215-1284/94).'^ Für die Teilnahme Raimundus'
an der Talmuddisputation von 1263 in Barcelona (vgl. ausführlich unten S. 113) gibt es
keine direkten Belege, fest steht hingegen, dass er 1264 zum Mitglied einer domini-
kanisch-franziskanischen Kommission bestimmt wurde, deren Aufgabe es war, hebrä-
ische Schriften zu begutachten und allfällige antichristliche oder blasphemische Inhalte
zu identifizieren.'^ Die spanischen Dominikaner und Franziskaner der Kommission
entdeckten im Zuge dieser Beschäftigung, dass sich im nachbiblischen jüdischen
Schrifttum Aussagen fanden, mit denen sich zentrale christliche Glaubensinhalte »be-
weisen« ließen.'^ So wurde es möglich, bei einer Disputation die Autorität des Tal-
muds das Christentum ins Feld zu führen - allerdings ging man noch einen Schritt
weiter, indem man die Juden auf den Talmud verpflichtete: Fehnte ein jüdischer Dis-
putant die Autorität talmudisch-legendarischer Inhalte ab, konnte man dies zu seinem
Nachteil auslegen, nämlich dahingehend, dass er ja nicht einmal die eigenen Schriften
respektiere!'"^ Diese neuen Verwendungsarten von Talmud und Midrasch im größeren
Stil wurde überhaupt erst durch die christliche Beschäftigung mit den entsprechenden
Vgl. HASSELHOFF, Raschi und die christliche Bibelauslegung, S. 213f.
Vgl. HASSELHOFF, Dicit Rabbi Moses, S. 225f.
Nennung Raimundus' in der lateinischen Verfügung vom 27.3.1264, Dokumente hg. von
HEINRICH DENIFLE, Quellen zur Disputation Pablo Christiani, in: Historisches Jahrbuch 8/2
(1887), S. 225-244, hier: S. 238,24.
In den Wortes des Nachmanides nach HERMINE GROSSINGER, Die Disputation des Nachmani-
des mit Fra Pablo Christiani, Barcelona 1263, in: Kairos 19/4 (1977), S. 257-285, hier: S. 259:
»Und so begann Frai Paul, indem er sagte, daß er aus unserem Talmud beweisen würde, daß
der Messias schon gekommen sei, über den die Profeten Zeugnis ablegen.«; vgl. ebd., Anm. 15.
Ausgabe des lateinischen Protokolls bei DENIFLE, Quellen zur Disputation Pablo Christiani,
S. 232, 18: Cozzfrzz zpzzzzzz respozzsz'ozzezzz zzddzzchz/zzil zzzzcforz'hzs Tzzizzzzzdz, zpze zzzzzzzz/esfe dz'cz'f [...].
S. 233, 15-22: Qzzo cozzshzzzhzz* zz//z'rzzzzzzzfe, zyzzod zzzzdo zzzodo iozpzz'hzr de Messz'zz, proFzzhzzzz/zzh ez per
zzzzzihzs zzzzcforz'hzfes de Dzaizzzzzf [sic!], zpze iozpzzzzzbzr de pzzssz'ozze Clzrz'sh' zzc zzzorfe, [...]. Ipse uero fzzzz-
dezzz cozzcfzzs per zzzzcforz'Mes cozz/esszzs esf, zyzzod de Clzrz'sfo z'zzfedz'^z'hzr ef expozzzYzzr. Vgl. das Proto-
koll des Nachmanides nach GROSSINGER, Die Disputation des Nachmanides mit Fra Pablo
Christiani, S. 264: »Ich antwortete folgendermaßen: Ich glaube nicht an diese Haggada, aber
sie ist eine Stütze für mein Argument. Da schrie jener Mann (und sagte): Seht, er leugnet ihre
eigenen Bücher!« Ähnlich bereits im Manuskript BN 16558 >Extractiones de Talmut< in der
Folge von 1240/42, wo bei der >Confessio magistri Iudas< kommentiert wird: zzzezzhfzzs cst et
cozzfra Taizzzzzd, Zitat nach ISIDORE LOEB, La Controverse de 1240 sur le Talmud, in: REJ 3
(1882), S. 39-57, hier: S. 57.
 
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