Overview
Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Haeberli, Simone; Schneidmüller, Bernd [Bibliogr. antecedent]; Weinfurter, Stefan [Bibliogr. antecedent]
Der jüdische Gelehrte im Mittelalter: christliche Imaginationen zwischen Idealisierung und Dämonisierung — Mittelalter-Forschungen, Band 32: Ostfildern, 2010

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.34910#0272

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
111.3 Der jüdische Gelehrte im Disput

259

Ideal gesehen. Der Protomärtyrer Stephanus ist bei ihm ein allgemein anerkannter Ge-
lehrter, der durch sein Wissen, seine Lehrtätigkeit und seinen Schüler Saulus/Paulus in
mancher Hinsicht in die Nähe der Gelehrtenfigur des Gamaliel gerückt wird.
Eine Vorlage von Havichs Stephansvita konnte bisher nicht identifiziert werden,
auch steht dieses Werk nicht in einer größeren Tradition.^ Viele Modifikationen könn-
ten somit Eigenleistungen des Verfassers sein. Besonders jüdisches Wissen bewertet
der Verfasser in seiner Stephansvita auffällig hoch und sieht es als besonderen Tri-
umph an, wenn sich ein solcher wcisfcr zum Christentum bekehrt. Die Schlussfolge-
rung, dass von Havich die Gefolgschaft eines Gelehrten als größerer und idealerer
Wahrheitsbeweis für das Christentum angesehen wurde, als die Bekehrung eines un-
wissenden Heiden, bietet sich an. Dieser Text schließt sich in einer seiner Grundaus-
sagen an die oben ausgeführte Beobachtung an und stützt die These, dass in gelehrten
Juden besonders wertvolle Zeugen christlicher Wunder gesehen wurden.

111.3.4 Exkurs zum zwölfjährigen Jesus im Tempel und kindlichen Gelehrten
Im Kapitel »Ungleiche Mittel: menschliches Wissen vs. göttliche Gnade« (vgl. oben ab
S. 227) wurde gezeigt, wie zahlreiche Silvester-Bearbeitungen die Gotteskindschaft ih-
res Disputanten betonen und wie damit ein neutestamentliches Konzept für die literari-
sche Disputation übernommen wird. Während dort die Kindschaft rein geistig zu ver-
stehen ist, gibt es auch literarische Belege für die Disputation eines Kindes. Es ist die
Geschichte des zwölfjährigen Jesus im Tempel, wie sie das Lukasevangelium ^ berich-
tet [Lk 2,40-47]:
»Das Kind wuchs heran und wurde kräftig; Gott erfüllte es mit
Weisheit und seine Gnade ruhte auf ihm. Die Eltern Jesu gingen
jedes Jahr zum Paschafest nach Jerusalem. Als er zwölf Jahre alt
geworden war, zogen sie wieder hinauf, wie es dem Festbrauch
entsprach. Nachdem die Festtage zu Ende waren, machten sie
sich auf den Heimweg. Der junge Jesus aber blieb in Jerusalem,
ohne dass seine Eltern es merkten. Sie meinten, er sei irgendwo in
der Pilgergruppe, und reisten eine Tagesstrecke weit; dann such-
ten sie ihn bei den Verwandten und Bekannten. Als sie ihn nicht
fanden, kehrten sie nach Jerusalem zurück und suchten ihn dort.
Nach drei Tagen fanden sie ihn im Tempel; er saß mitten unter
den Lehrern, hörte ihnen zu und stellte Fragen. Alle, die ihn hör-
ten, waren erstaunt über sein Verständnis und über seine Ant-
worten.«

KARL-ERNST GBITH, Art. »Hawich der Kellner«, in: VL 3 (*1981), Sp. 561ff. hier: Sp. 562.
Auch das apokryphe Thomasevangelium überliefert dieselbe Geschichte mit einigen zusätz-
lichen Elementen (Kap. 19), »Alle aber achteten auf ihn und staunten, wie er, noch ein Junge,
die Ältesten und Lehrer des Volkes zum Schweigen brachte, indem er ihnen die Hauptteile
des Gesetzes und die Sprüche der Propheten erklärte.« Zitiert nach: Die verbotenen Evange-
lien. Apokryphe Schriften, hg. von Katharina Ceming u. Jürgen Werlitz, Wiesbaden 2004,
S. 93-108, hier: S. 107.
 
Annotationen