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Haeberli, Simone; Schneidmüller, Bernd [Bibliogr. antecedent]; Weinfurter, Stefan [Bibliogr. antecedent]
Der jüdische Gelehrte im Mittelalter: christliche Imaginationen zwischen Idealisierung und Dämonisierung — Mittelalter-Forschungen, Band 32: Ostfildern, 2010

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.34910#0094

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11.4 Kleriker sprechen über jüdische Gelehrte

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11.4 Kleriker sprechen über jüdische Gelehrte

Wollten Christen sich das Hebräische aneignen und Gewissheit über den originalen
Bibeltext erlangen, so gab es meistens keinen anderen Weg, als sich dieses Wissen von
den jüdischen Nachbarn zu holen, denn nicht immer waren Konvertiten zur Stelle.
Viele der mittelalterlichen Geistlichen, die sich bei den Juden ihres Ortes in den
Unterricht begaben, sind sich der Ähnlichkeit ihres Vorgehens mit jenem des Hierony-
mus bewusst. Entsprechend nennen sie den Kirchenvater als ihr Vorbild. Äußern sie
sich über ihre jüdischen »Kollegen«, so muss damit gerechnet werden, dass auch ihr
Sprechen über sie von Hieronymus geprägt ist. Im nächsten Abschnitt wird deshalb
untersucht, wie ein Christ überhaupt über einen jüdischen Gelehrten sprechen kann, in
welchen Traditionen er sich dabei diskursiv bewegt und welchen Risiken er sich mögli-
cherweise aussetzt, wenn er sich von einer jüdischen Lehrmeinung zu sehr beeinflus-
sen lässt. Dieser Diskurs wird so maßgeblich von Hieronymus geprägt, dass ein kurzer
Blick auf die von ihm geschilderten Kontakte mit gelehrten Juden unabdingbar ist.

11.4.1 Hieronymus über seine jüdischen Lehrer
Im Mittelalter galt Eusebius Hieronymus (347-419) aufgrund seiner sowohl für die
Spätantike wie für das Mittelalter ungewöhnlich reichen Sprachkenntnisse als idealer
christlicher Gelehrter. Nur ein uz'r fnüngTzzs wie er ist in der Lage, zur wahren biblischen
Textgestalt vorzudringen. Mag in der heutigen Lorschung angezweifelt werden, wie
tief seine Kenntnis gerade des Hebräischen wirklich gewesen ist, ist doch mit Grund
anzunehmen, dass er Umgang mit Konvertiten und gelehrten Juden pflegte, sich von
einigen bezahlten Unterricht geben und offenbar kostspielige Übersetzungsdienste ver-
richten ließA Zum ersten Mal in Kontakt mit dem Hebräischen kam er laut eigener

Für das Spätmittelalter vgl. STEPHEN G. BURNETT, Jüdische Vermittler des Hebräischen und
ihre christlichen Schüler im Spätmittelalter, in: Wechselseitige Wahrnehmung der Religionen
im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit, I. Konzeptionelle Grundfragen und Fall-
studien: Heiden, Barbaren, Juden (= Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu
Göttingen 4), hg. von Ludger Grenzmann et al., Berlin/New York 2009, S. 173-188.
Diese während des Mittelalters für Hieronymus übliche Bezeichnung geht auf ihn selbst zu-
rück, vgl. Hieronymus, Contra Rufinum 111,6 (= CChr SL 79, S. 79): Eyo pMosopizzzs, dzcfor,
^rzzzzzzzzzzfz'czzs, dz'zzücfz'czzs, IzeFrzzezzs, ^rzzeczzs, Mz'zzzzs, frz'h'zz^zzz's. Vgl. auch STEFAN REBENICH, Jero-
me: The »vir trilinguis« and the »hebraica veritas«, in: Vigiliae Christianae 47 (1993), S. 50-77.
Zu Hieronymus allg. vgl. STEFAN REBENICH, Hieronymus und sein Kreis. Prosopographische
und sozialgeschichtliche Untersuchungen (= Historia 72), Stuttgart 1992; DERS., Jerome. The
Early Church Fathers, London/New York, 2002; ALFONS FÜRST, Hieronymus. Askese und
Wissenschaft in der Spätantike, Freiburg 2003; zu seinen Sprachkenntnissen vgl. ebd. S. 76-80;
SCHRECKENBERG, Adversus-Judaeos-Texte, Bd. 1, S. 333-339; Hebräischkenntnisse werden ihm
abgesprochen von PIERRE NAUTIN, Art. »Hieronymus«, in: TRE 15, Sp. 304-315; Weitere kriti-
sche Stimmen versammelt GÜNTER STEMBERGER, Hieronymus und die Juden seiner Zeit, in:
Begegnungen zwischen Christentum und Judentum in Antike und Mittelalter. Festschrift für
Heinz Schreckenberg, hg. von Dietrich-Alex Koch u. Hermann Lichtenberger, Göttingen
1993, S. 347-364; ebd., S. 347f., auch die Vermutung, einige Begegnungen mit den erwähnten
Juden seien literarische Fiktion. Dagegen REBENICH, Jerome: The »vir trilinguis«, S. 57-63;
MICHAEL GRAVES, Jerome's Hebrew Philology. A Study based on his Commentary on Jeremi-
ah, Brill 2007. Zu Hieronymus im Mittelalter vgl. PETER CONRADS, Hieronymus, Scriptor et
 
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