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Haeberli, Simone; Schneidmüller, Bernd [Bibliogr. antecedent]; Weinfurter, Stefan [Bibliogr. antecedent]
Der jüdische Gelehrte im Mittelalter: christliche Imaginationen zwischen Idealisierung und Dämonisierung — Mittelalter-Forschungen, Band 32: Ostfildern, 2010

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.34910#0308

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IV. Schluss

Zusammenfassung

Es gibt im Wesentlichen vier Kriterien, welche die christliche Darstellung von Juden
maßgeblich beeinflussen. Das Bewusstsein, dass die Geschichte der Welt zielgerichtet
abläuft, dass jedem ihrer Elemente ein fester Platz in Gottes Plan zukommt, ließ
Christen auch nach der Funktion der Juden im Heilsplan fragen. Besonders dringlich
wurde diese Frage, weil man sich im letzten Zeitalter wähnte und entsprechend mit
dem Anbruch des Weitendes rechnete. Wertend wird die Beurteilung der Juden erst
dann, wenn die Geschichte als aufsteigende Entwicklung der Menschheit auf ein höhe-
res Ziel hin begriffen wird. Die drei Heilszeitstufen bringen diese Auffassung von Ge-
schichte, die ja immer auch Heilsgeschichte ist, deutlich zum Ausdruck. Wer wie die
Juden auf der Stufe szzZz /ege verharrt und nicht zu szzZz gra/za aufsteigt, ist als Exeget,
aber auch als Mensch weniger hoch einzustufen. Verstärkt wird diese Auffassung des
Jüdischen und der Juden durch das Exegeseverfahren der Typologie, die dem Alten
Testament (und seinen Bewahrern) bloß verweisende Funktion zugesteht. Das alttesta-
mentliche Judentum, aber auch die zeitgenössischen Juden haben somit keinen Eigen-
wert. Sie verweisen vielmehr auf etwas, das über ihnen steht: die Israeliten als Realpro-
phetien auf die Geschehnisse des Neuen Testaments, die zeitgenössischen Juden als
lebende Zeugen auf die Passion Christi, die liturgisch ständig wiederholt wird.
Besonders die seit dem Hochmittelalter zunehmende Passions- und Marienfröm-
migkeit wirkt sich negativ auf die christlichen Judenbilder aus. Je stärker das physische
Leiden des Messias in den Fokus des Frömmigkeitsdiskurses gelangt, desto mehr in-
teressieren auch die Täter. Leerstellen in den Evangelien werden zunehmend mit bös-
artigen Juden besetzt, deren Taten und Gesinnung sich zunächst noch aus den Psalmen
Davids und den alttestamentlichen Prophezeiungen zum Schmerzensmann herleiten,
danach aber fast beliebig hinzuerfunden und ausgeschmückt werden können. Wie
groß das Bedürfnis nach der Schaffung sadistischer Judenfiguren gewesen sein muss,
zeigen besonders spätmittelalterliche volkssprachliche Dichtungen zu den Leiden Jesu.
Auch werden die Juden so stark als Quäler und Folterer Jesu gezeichnet, dass sie die
Römer in Literatur und Bild restlos verdrängen können. Den Juden kam als Christus-
mörder eine negative Sonderposition zu, die sich zusätzlich als Sonderbehandlung
innerhalb der katholischen Liturgie äußerte und so - ähnlich wie die Bilder - alle Gläu-
bigen erreichen konnte.
Der Einfluss dieser geistes- und frömmigkeitsgeschichtlichen Bedingungen auf
das mittelalterliche Judenbild muss mindestens ebenso hoch veranschlagt werden wie
die Wirkung dramatischer geschichtlicher Ereignisse, denen Juden zum Opfer fielen.
 
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