202
III. Jüdische Gelehrtenfiguren in der mittelhochdeutschen Literaur
Judentum und Christentum kannten seit frühster Zeit die theologische Auseinan-
dersetzung. Die beiden Bekenntnisse waren, stärker als die weitaus meisten anderen
Religionen, Konfrontationskulturen im wahrsten Sinn des Wortes: »Die bewusste und
stete Ablehnung von Werten und Ansprüchen des anderen war und blieb konstitutives
Moment für den fortlaufenden Aufbau der dgenen Identität beider Kulturen.«^ Dies
findet seinen Niederschlag ganz besonders in den volkssprachigen disputativen Quel-
len des europäischen Mittelalters, die im Folgenden anhand der Silvesterlegende exem-
plarisch untersucht werden.
111.3.2 Die jüdischen Gelehrten in der Silvesterdisputation
Das prominenteste Beispiel einer volkssprachigen narrativen Disputation, in der jüdi-
sche Gelehrte besonders ausführlich beschrieben werden, ist jene in der Silvesterlegende.
Die Silvesterlegende ist fester Bestandteil eines jeden mittelalterlichen lateinischen und
deutschen Heiligenlegendars. Sie erzählt die Lebensgeschichte Papst Silvesters, der
den römischen Kaiser Konstantin (Regierungszeit 306-337) von der Wahrheit des
Christentums überzeugt, und dadurch die Christianisierung des Römischen Reiches
ermöglicht. Kaisertum und Christentum treten in eine enge Verbindung. Die meisten
der lateinischen und deutschen Bearbeitungen, die hier untersucht werden, erzählen
das Leben des con/cssors in vier Teilen. Ein kruzer erster Teil schildert die Kindheit und
den Werdegang Silvesters bis zu seiner Papstwahl. Zweitens folgt die Bekehrung Kon-
stantins und seine Heilung vom Aussatz durch die Taufe. Der ausführliche dritte Teil
behandelt eine öffentliche Religionsdisputation mit zwölf herausragenden jüdischen
Gelehrten. Ein vierter Teil berichtet die Bindung eines gefährlichen Drachens, der von
Heidenpriestern mit Menschenopfern versorgt werden muss.
Heute herrscht Konsens darüber, dass die legendarischen Fassungen der Silvester-
geschichte nicht einmal im Kern historisch sind. Die Silvesterlegende ist vielmehr eine
Fefro^ezz werdezz ozz szzzzd [...]. Sprz'cfzf azzs: >Dezz aller Fesfezz crz'sfezz föffezz z'sf besser dazzzz daz fiewFf
der sclzlazzyczz zu zzzzirscfzczzz [b Soferim 15 lautet: »Töte den Besten der Heiden« und ist ein ver-
zweifelter Ausruf des von den Römern nach dem Bar Kochba Aufstand verfolgten Rabbis.
Hier wird deutlich, dass die Christen nicht gewillt oder nicht in der Lage waren, den Kontext
einer Äußerung zu berücksichtigen]. Auch die Vorstellung, dass die Juden in ihren Gebeten
die Christen und ihre Institutionen verfluchen, taucht in diesen Texten auf, vgl. ab Z. 250:
zzzazz Iz'sf Z77Z cezer Cazassz'zzz das zzzzfer z'zz z'sf ^ezzzaclzf ez'zz ^eFof nozz allezz wei/sezz das sz'e fe^lz'clz z'zz dezzz
petzet das sz'e azzz icre/fz'^sfezz aclzfezz, frei/ zzzal nez^lzzclzezz dz'e dz'ezzer der Idrclzezz, den Vzzzz'^ezz zzzzd re^z-
rerzz zzzzd allezz dz'e dezz/zidezz^ezzzf sz'zzf.
Vgl. FUNKENSTEIN, Juden, Christen und Muslime, S. 33.
WERNER WILLIAMS-KRAPP, Art. »Silvester«, in: VL 8 (-1992), Sp. 1247f.
Die ältere Forschung ging davon aus, dass Silvester im Jahr 315 tatsächlich mit Juden dispu-
tiert habe und dass die lateinische Schrift >Sylvestri Episcopi Romani disputatio contra Judae-
os de fide catholica< davon zeuge (so HANS FERDINAND MASSMANN, Der keiser und der kuni-
ge buoch oder die sogenannte Kaiserchronik, Bd. 3, Quedlinburg/Leipzig 1854, S. 857f.);
Auch ein Druck von 1544 betont im Vorwort die Authentizität des Disputs im 14. Jahr des
Pontifikats Silvesters: Haec Sz/zzodzzs ziere sacro azzzzo Pozzfz/z'cafizs Sz/lnesfrz decz'zzzoz/izarfoyizz'f [...]
ha ezzz'zzz ex fzz'sforz'a Ecdesz'asfz'ca collz'^z'zzzizs, vgl. Dz'spizfafz'o Clzrz'sfz'azzorizzzz ef hzdaeonzzzz, olz'zzz Ro-
zzzae fzaFz'fa, corazzz hzzperafore Cozzsfazzfz'zzo, gedr. von Georg Wicelius, Mogunt 1544. Dagegen
unterstreicht die jüngere Forschung die Passivität des Papstes: weder an der Synode von Arles
314, noch am Konzil von Nicäa im Jahre 325 nahm er persönlich teil, zudem hinterließ er
keinerlei schriftliche Zeugnisse, vgl. GISELA SCHMITT, Art. »Silvester I.«, in: BBKL 10 (1995),
Sp.338-341.
III. Jüdische Gelehrtenfiguren in der mittelhochdeutschen Literaur
Judentum und Christentum kannten seit frühster Zeit die theologische Auseinan-
dersetzung. Die beiden Bekenntnisse waren, stärker als die weitaus meisten anderen
Religionen, Konfrontationskulturen im wahrsten Sinn des Wortes: »Die bewusste und
stete Ablehnung von Werten und Ansprüchen des anderen war und blieb konstitutives
Moment für den fortlaufenden Aufbau der dgenen Identität beider Kulturen.«^ Dies
findet seinen Niederschlag ganz besonders in den volkssprachigen disputativen Quel-
len des europäischen Mittelalters, die im Folgenden anhand der Silvesterlegende exem-
plarisch untersucht werden.
111.3.2 Die jüdischen Gelehrten in der Silvesterdisputation
Das prominenteste Beispiel einer volkssprachigen narrativen Disputation, in der jüdi-
sche Gelehrte besonders ausführlich beschrieben werden, ist jene in der Silvesterlegende.
Die Silvesterlegende ist fester Bestandteil eines jeden mittelalterlichen lateinischen und
deutschen Heiligenlegendars. Sie erzählt die Lebensgeschichte Papst Silvesters, der
den römischen Kaiser Konstantin (Regierungszeit 306-337) von der Wahrheit des
Christentums überzeugt, und dadurch die Christianisierung des Römischen Reiches
ermöglicht. Kaisertum und Christentum treten in eine enge Verbindung. Die meisten
der lateinischen und deutschen Bearbeitungen, die hier untersucht werden, erzählen
das Leben des con/cssors in vier Teilen. Ein kruzer erster Teil schildert die Kindheit und
den Werdegang Silvesters bis zu seiner Papstwahl. Zweitens folgt die Bekehrung Kon-
stantins und seine Heilung vom Aussatz durch die Taufe. Der ausführliche dritte Teil
behandelt eine öffentliche Religionsdisputation mit zwölf herausragenden jüdischen
Gelehrten. Ein vierter Teil berichtet die Bindung eines gefährlichen Drachens, der von
Heidenpriestern mit Menschenopfern versorgt werden muss.
Heute herrscht Konsens darüber, dass die legendarischen Fassungen der Silvester-
geschichte nicht einmal im Kern historisch sind. Die Silvesterlegende ist vielmehr eine
Fefro^ezz werdezz ozz szzzzd [...]. Sprz'cfzf azzs: >Dezz aller Fesfezz crz'sfezz föffezz z'sf besser dazzzz daz fiewFf
der sclzlazzyczz zu zzzzirscfzczzz [b Soferim 15 lautet: »Töte den Besten der Heiden« und ist ein ver-
zweifelter Ausruf des von den Römern nach dem Bar Kochba Aufstand verfolgten Rabbis.
Hier wird deutlich, dass die Christen nicht gewillt oder nicht in der Lage waren, den Kontext
einer Äußerung zu berücksichtigen]. Auch die Vorstellung, dass die Juden in ihren Gebeten
die Christen und ihre Institutionen verfluchen, taucht in diesen Texten auf, vgl. ab Z. 250:
zzzazz Iz'sf Z77Z cezer Cazassz'zzz das zzzzfer z'zz z'sf ^ezzzaclzf ez'zz ^eFof nozz allezz wei/sezz das sz'e fe^lz'clz z'zz dezzz
petzet das sz'e azzz icre/fz'^sfezz aclzfezz, frei/ zzzal nez^lzzclzezz dz'e dz'ezzer der Idrclzezz, den Vzzzz'^ezz zzzzd re^z-
rerzz zzzzd allezz dz'e dezz/zidezz^ezzzf sz'zzf.
Vgl. FUNKENSTEIN, Juden, Christen und Muslime, S. 33.
WERNER WILLIAMS-KRAPP, Art. »Silvester«, in: VL 8 (-1992), Sp. 1247f.
Die ältere Forschung ging davon aus, dass Silvester im Jahr 315 tatsächlich mit Juden dispu-
tiert habe und dass die lateinische Schrift >Sylvestri Episcopi Romani disputatio contra Judae-
os de fide catholica< davon zeuge (so HANS FERDINAND MASSMANN, Der keiser und der kuni-
ge buoch oder die sogenannte Kaiserchronik, Bd. 3, Quedlinburg/Leipzig 1854, S. 857f.);
Auch ein Druck von 1544 betont im Vorwort die Authentizität des Disputs im 14. Jahr des
Pontifikats Silvesters: Haec Sz/zzodzzs ziere sacro azzzzo Pozzfz/z'cafizs Sz/lnesfrz decz'zzzoz/izarfoyizz'f [...]
ha ezzz'zzz ex fzz'sforz'a Ecdesz'asfz'ca collz'^z'zzzizs, vgl. Dz'spizfafz'o Clzrz'sfz'azzorizzzz ef hzdaeonzzzz, olz'zzz Ro-
zzzae fzaFz'fa, corazzz hzzperafore Cozzsfazzfz'zzo, gedr. von Georg Wicelius, Mogunt 1544. Dagegen
unterstreicht die jüngere Forschung die Passivität des Papstes: weder an der Synode von Arles
314, noch am Konzil von Nicäa im Jahre 325 nahm er persönlich teil, zudem hinterließ er
keinerlei schriftliche Zeugnisse, vgl. GISELA SCHMITT, Art. »Silvester I.«, in: BBKL 10 (1995),
Sp.338-341.