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Haeberli, Simone; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Der jüdische Gelehrte im Mittelalter: christliche Imaginationen zwischen Idealisierung und Dämonisierung — Mittelalter-Forschungen, Band 32: Ostfildern, 2010

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.34910#0196

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111.3 Der jüdische Gelehrte im Disput

111.3.1 Einführung
Eine Textart, in der zahlreiche literarische Darstellungen jüdischer Gelehrter zu erwar-
ten sind, ist die religiöse Disputation/ Gebildete und besonders ausgewiesene Vertreter
des jüdischen und des christlichen Bekenntnisses erörtern in ihnen theologische Fra-
gen, wobei gerade in der Auseinandersetzung mit der jüdischen Religion das durchaus
kompetitive Streitgespräch dominiert. Solche Streitgespräche sind mehr als bloße Wort-
gefechte. Die disputierenden Parteien setzen in diesen Gesprächen ihre eigene Religion
und damit auch ihre Lebensform aufs Spiel. Selbst eine rein fiktionale Religions-
disputation ist somit immer mehr als ein bloßes Streitgespräch, eine Niederlage ent-
sprechend viel mehr als ein persönliches Versagen ohne weitere Konsequenzen außer
dem Gesichtsverlust.
In literarischen Religionsdisputationen kommen zwar häufig Techniken zur An-
wendung, die aus dem Bereich der seit etwa 1130 praktizierten scholastischen dz'sptüa-
fz'ozies stammen. Sie sind aber grundsätzlich nicht in Eins zu setzen. Scholastische Dis-
putationen wurden in den frühen Schulen zu Übungszwecken zwischen Magister und
Schülern in verteilten Rollen abgehalten; später fanden sie vor allem an den Universi-
täten statt, wo besonders angesehene Fachvertreter gegeneinander antraten.' Die scho-
lastische dz'sptüafz'o ist in der Regel folgendermaßen aufgebaut: eine These wird ein-
geführt, mit verschiedenen Einwänden in Frage gestellt und schließlich mit der oft
ebenfalls mehrfachen Entkräftung des Einwandes als gültig und damit als wahr bewie-
sen. Die Methode der dz'sptüafz'o mit ihrem strengen, analytisch aufgebauten Pro und
Contra (oder Sic et Non) wurde immer als ein Instrument der Wahrheitsfindung ver-
standen, gerade auch bei theologischen Fragen/
Während es sich bei der scholastischen dz'sptüafz'o um eine innerchristliche Metho-
de handelt, sind im folgenden Kapitel mit »Disputationen« immer Auseinandersetzun-
gen polemischer und apologetischer Art zwischen zwei, seltener drei oder noch mehr re-
ligiösen Bekenntnissen gemeint. Das Ziel einer jeden interreligiösen Disputation ist die
Bewährung des eigenen Glaubens als des einzig wahren. Um den Wahrheitsanspruch
zu klären, werden religiöse Streitfragen und (christliche) Dogmen vor einem Publikum
abgehandelt, dem in einigen Fällen eine Jury vorsteht. Ist eine solche Jury - bestehend

Vgl. JACQUES WAARDENBURG, Art. »Religionsgespräche«, in: TRE 28, S. 631-640.
Vgl. grundlegend MARTIN GRABMANN, Die Geschichte der scholastischen Methode, 2 Bde.,
Freiburg i.Br. 1909-1911; zur dz'spizMz'o als Unterrichtsmethode vgl. ebd., Bd. 2: S. 13-24; Art.
»Disputatio(n)«, in: LexMA III (1986), Sp. 1116-1120. Zur dz'spizMz'o an der Universität Paris
vgl. OLGA WEIJERS, La dz'spizMz'o ä la faculte des arts de Paris (1200-1350 environ). Esquisse
d'une typologie, Brepols 1995; FRIEDRICH PAULSEN, Geschichte des gelehrten Unterrichts auf
den deutschen Schulen und Universitäten vom Ausgang des Mittelalters bis zur Gegenwart.
Mit besonderer Rücksicht auf den klassischen Unterricht, Berlin 1965.
Vgl. UWE GERBER, Disputatio als Sprache des Glaubens. Eine Einführung in das theologische
Verständnis der Sprache an Hand einer entwicklungsgeschichtlichen Untersuchung der dis-
putatio und ihres Sprachvollzuges (= Basler Studien zur historischen und systematischen
Theologie 15), Zürich 1970; zum Selbstverständnis der scholastischen Methode vgl. GRAB-
MANN, Scholastische Methode, Bd. 1, S. 33-37.
 
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