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Haeberli, Simone; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Der jüdische Gelehrte im Mittelalter: christliche Imaginationen zwischen Idealisierung und Dämonisierung — Mittelalter-Forschungen, Band 32: Ostfildern, 2010

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https://doi.org/10.11588/diglit.34910#0048

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1.3 Wandel des mittelalterlichen Christusbildes

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für die allgegenwärtige Zirkulation von antijüdischen Vorstellungen im Zusammen-
hang mit der Passionsfrömmigkeit.
Der wichtigste Aspekt hoch- und spätmittelalterlicher Passionsfrömmigkeit ist je-
doch die compassz'o, das »Mitleiden« mit dem gequälten Christus und seiner Mutter. Die
compassz'o im Rahmen der Passionsfrömmigkeit wird in der Forschung oftmals als Haupt-
form der spätmittelalterlichen Frömmigkeit angesehen/" Welche Auswirkungen die
verstärkten Formen des Mitleides und des Mitleidens auf das mittelalterliche Judenbild
haben konnten, wird im nächsten Kapitel besprochen.

1.3.2 Die Identifikation mit dem Leiden schafft Raum für Antijudaismus
Das religiöse Phänomen der cozzzpasszo, das bereits in der paulinischen Theologie ange-
legt ist,''" lässt sich literarisch ab dem frühen 12. Jahrhundert fassen. Besonders der Zister-
zienser Bernhard von Clairvaux (+ 1153), dessen Schriften über Jahrhunderte hinweg
stark rezipiert wurden, stellt das Mitleiden in den Vordergrund christlicher Frömmig-
keit/" Nebst der innerlichen Teilhabe an den Leiden Christi während der Passion tritt
durch die aufkommende Marienfrömmigkeit auch das Leid der Gottesmutter in den
Fokus der cozzzpasszo/^ Unzählige Texte über das Leiden Christi und der Gottesmutter
zeugen von diesem neuen Interesse. Dass auch innerhalb der Marienfrömmigkeit

Menschen vom Leiden seines Kindes hören, vgl. ebd., S. 28f.: Duc sch z'z chzz sczzzzi sein';; n;zde
izoniz, nwz dcz z'sf N^z'rhdz dezzz izz'ezzzehsdzezz ccder dcz ??zc?z szizs Dizdes hdezz he/nzdü znzde bAe?z?zh.
ULRICH KÖPF, Art. »Passionsfrömmigkeit«, in: TRE 27 (1997), Sp. 722-764. Mit zahlreichen
Abbildungen. Zu weiteren Kreuzigungsvisionen vgl. PICKERING, Literatur und darstellende
Kunst, S. 180ff.
Vgl. Die Passion Christi in Literatur und Kunst des Spätmittelalters, hg. von Walter Haug u.
Burghart Wachinger, Tübingen 1993, speziell den Aufsatz von LRITZ OSKAR SCHUPPISSER,
Schauen mit den Augen des Herzens. Zur Methodik der spätmittelalterlichen Passionsmedi-
tation, besonders in der Devotio Moderna und bei den Augustinern, in: ebd., S. 169-210, bes.
S. 187-195; HANS-MARTIN KIRN, Contemptus Mundi - contemptus Judaei? Nachfolgeideale
und Antijudaismus in der spätmittelalterlichen Predigtliteratur, in: Spätmittelalterliche Pröm-
migkeit zwischen Ideal und Praxis, hg. von Berndt Hamm u. Thomas Lentes, Tübingen 2001,
S. 147-178. Zur cozzzpcsszo um 1100-1200 vgl. KATHARINA MERTENS PLEURY, Leiden lesen. Be-
deutungen von cozzzpcsszo um 1200 und die Poetik des Mit-Leidens im >Parzival< Wolframs
von Eschenbach (= Scrinium Priburgense 21), Berlin/New York 2006, S. 6-47.
Röm 8,17: »Sind wir aber Kinder, dann auch Erben; wir sind Erben Gottes und sind Miterben
Christi, wenn wir mit ihm leiden, um mit ihm auch verherrlicht zu werden.«
ANGENENDT, Geschichte der Religiosität im Mittelalter, S. 65f.; 537-541; ANDREAS KRASS, Art.
»Stabat mater dolorosa«, in: VL 9 (*1995), Sp. 207-214, hier: Sp. 208; OTTO LANGER, Passio
und Compassio. Zur Bedeutung der Passionsmystik bei Bernhard von Clairvaux, in: Die
dunkle Nacht der Sinne. Leiderfahrung und christliche Mystik, hg. von Gotthard Puchs, Düs-
seldorf 1991, S. 41-62; ULRICH KÖPF, Die Rezeptions- und Wirkungsgeschichte Bernhards
von Clairvaux. Porschungsstand und Porschungsaufgabe, in: Bernhard von Clairvaux: Re-
zeption und Wirkung im Mittelalter und in der Neuzeit, hg. von Kaspar Elm, Wolfenbüttel
1994, S. 5-65; MERTENS FLEURY, Leiden lesen, S. 20-28.
>Stabat Maten leitet sich von Joh 19,25 ab. Zur Entwicklung der Marienfrömmigkeit vgl.
RACHEL FULTON, From Judgement to Passion. Devotion to Christ and the Virgin Mary, Chi-
chester/New York 2002.
Vgl. bspw. die >Meditationes passionis Christh, die lange Zeit Bonaventura zugeschrieben
wurden und in der volkssprachigen Literatur großen Einfluss hatten, abgedr. in: S. Bonaven-
turae Opera Omnia, hg. von A. C. Peltier, Bd. 12, Paris 1868. In dieser Tradition steht auch
Ludolfs von Sachsen >Vita Christh, vgl. dazu die Studie von WALTER BAIER, Untersuchungen
 
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