11.4 Kleriker sprechen über jüdische Gelehrte
85
11.4.3 Frühmittelalterliche Berufungen auf jüdische Gelehrte und ihre Bücher
Der nächstliegende Grund, in einer religiösen Schrift auf zeitgenössische Juden zu ver-
weisen, ist sicherlich jener der Autoritätssicherung. Sollten die Leser mit Unglauben
auf eine Behauptung im Zusammenhang mit dem Alten Testament reagieren, war es
eine überzeugende Strategie, die Zweifler aufzufordern, doch selbst bei den Juden
nachfragen und in ihren Büchern nachschauen zu gehen. Genauso formuliert es im frü-
hen 9. Jahrhundert Claudius von Turin (+ um 827), ein großer Verfechter der dehrzn'cz?
uen'fzts. Diejenigen, die an seinen Ausführungen über die biblischen Zeiten zweifeln,
verweist er auf die Juden und ihre Codices.
Ei si CMjüs^brfe in iiac re oFsiinaia zneniis perdnrai infenfio, eaf ad Jzz-
daeos Ecciesiae iniznicos, ei in eornzn codiciFns EfeFrea iin^na scripiis
annornzn sn?n?na?n repnirai, ei zpiidzpiid dn'dezn inuenerii, Eoc credai ei
ieneai, pnia, ni aii Feains An^nsiinns in iiFro de Ciuiiaie Dei XV, ei
iin^nae poiins credainr nnde esi in aiiazn per inierpreies ^acia irans-
iaiio.^
Mit seinem Verweis auf die Juden steht Claudius in der Tradition des Hieronymus, der
seine Kritiker ebenfalls aufforderte, doch die Juden fragen zu gehen, wenn sie an sei-
nen Übersetzungen zweifelten. In den Büchern der Juden finden sich alle Angaben in
Hebräisch, was bei Claudius automatisch eine Garantie für deren Korrektheit und
Wahrheit ist. Um die Behauptung, alles Biblisch-Hebräische sei wahr, weiter zu stüt-
zen, führt Claudius die unumstößliche Autorität des Kirchenlehrers Augustinus an, der
in seinem >Gottesstaat< schrieb, den Codices der Juden sei eher zu vertrauen als den
Übersetzungen der inierpreies.^ Trotz der Autorität, die er hier den jüdischen Büchern
einräumt, grenzt Claudius sich klar von den zeitgenössischen Juden ab, indem er sie als
Feinde der Kirche (iniznicos) bezeichnet. Auf diese Weise kann er unmissverständlich
zwischen den wertvollen Worten und ihren falschgläubigen Bewahrern unterscheiden,
ohne sich dem Verdacht auszusetzen, ein Judenfreund zu sein. Denn gerade Claudius
scheint sich oft mit Juden getroffen zu haben. Er kennt zahlreiche jüdische Erzählun-
gen/ nennt Übersetzungsnuancen und schreibt öfters mit so erstaunlicher Sachkennt-
nis über schwierige Details der hebräischen Sprache und an einer Stelle sogar zu deren
Claudius von Turin, Brevis Chronica, in: PL 104, Sp. 917D: Er arbeitet nur jzzxfa HcD'zzz'czzzzz
uez'iizziczzz. Zu Claudius vgl. JOHANNES HEIL, Claudius von Turin - Eine Fallstudie zur Ge-
schichte der Karolingerzeit, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 45 (1997), S. 389-412.
Brevis Chronica, Sp. 918D.
Hieronymus, Epistula 112, 20,5 (= CSEL 55, S. 391): siczzEz' dzzülzzs, HeHaeos z'zzicz'z'oyzz. Für wei-
tere nahezu identische Formulierungen, vgl. REBENICH, Jerome: The »vir trilinguis«, S. 74,
Anm. 84.
Aurelius Augustinus, De civitate Dei XV,14, S. 43: Eia ucz'o zzzzzzzcz'oz'zzzzz uazdefas, zpzzzc z'zzlcz' Codi-
ces HeHaeos z'zzuezzz'fzzi* ei zzosiros [...] ei si zyzzz'd izaEef da dinerszzzzz, zzf uerzzzzz esse zzfrzzzzzzpze zzoz:
possz'i, rerzzzzz ^esfarzzzzzyi'des af? ea iz'zz^zza repefezzda esi, ex zpza z'zziezpreiaizzzzz esi zyzzod izaEezzzzzs.
Vgl. bspw. Commentarium in Genesim, in: PL 50, Sp. 918B: TTadzzzzi HcDaci 77 azzdzzas ex Ea-
zzzeciz pro^ezzz'e reperirz' [...]; Sp. 944A: Tradzzzzf azzfezzz HeEraez' ex izac occasz'ozze z'sfz'zzszzzodz'yafzzziazzz,
zpzod /lü'aizazzz z'zz z'yzzczzz zzzz'sszzs sz'i, zpzia z'yzzczzz adoz'az'c zzoizzerz'i. Dieser Text wurde von der äl-
teren Forschung fälschlicherweise Eucherius zugeschrieben, von BLUMENKRANZ, Les auteurs
chretiens latins, S. 150f., aber glaubhaft Claudius von Turin zugewiesen.
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11.4.3 Frühmittelalterliche Berufungen auf jüdische Gelehrte und ihre Bücher
Der nächstliegende Grund, in einer religiösen Schrift auf zeitgenössische Juden zu ver-
weisen, ist sicherlich jener der Autoritätssicherung. Sollten die Leser mit Unglauben
auf eine Behauptung im Zusammenhang mit dem Alten Testament reagieren, war es
eine überzeugende Strategie, die Zweifler aufzufordern, doch selbst bei den Juden
nachfragen und in ihren Büchern nachschauen zu gehen. Genauso formuliert es im frü-
hen 9. Jahrhundert Claudius von Turin (+ um 827), ein großer Verfechter der dehrzn'cz?
uen'fzts. Diejenigen, die an seinen Ausführungen über die biblischen Zeiten zweifeln,
verweist er auf die Juden und ihre Codices.
Ei si CMjüs^brfe in iiac re oFsiinaia zneniis perdnrai infenfio, eaf ad Jzz-
daeos Ecciesiae iniznicos, ei in eornzn codiciFns EfeFrea iin^na scripiis
annornzn sn?n?na?n repnirai, ei zpiidzpiid dn'dezn inuenerii, Eoc credai ei
ieneai, pnia, ni aii Feains An^nsiinns in iiFro de Ciuiiaie Dei XV, ei
iin^nae poiins credainr nnde esi in aiiazn per inierpreies ^acia irans-
iaiio.^
Mit seinem Verweis auf die Juden steht Claudius in der Tradition des Hieronymus, der
seine Kritiker ebenfalls aufforderte, doch die Juden fragen zu gehen, wenn sie an sei-
nen Übersetzungen zweifelten. In den Büchern der Juden finden sich alle Angaben in
Hebräisch, was bei Claudius automatisch eine Garantie für deren Korrektheit und
Wahrheit ist. Um die Behauptung, alles Biblisch-Hebräische sei wahr, weiter zu stüt-
zen, führt Claudius die unumstößliche Autorität des Kirchenlehrers Augustinus an, der
in seinem >Gottesstaat< schrieb, den Codices der Juden sei eher zu vertrauen als den
Übersetzungen der inierpreies.^ Trotz der Autorität, die er hier den jüdischen Büchern
einräumt, grenzt Claudius sich klar von den zeitgenössischen Juden ab, indem er sie als
Feinde der Kirche (iniznicos) bezeichnet. Auf diese Weise kann er unmissverständlich
zwischen den wertvollen Worten und ihren falschgläubigen Bewahrern unterscheiden,
ohne sich dem Verdacht auszusetzen, ein Judenfreund zu sein. Denn gerade Claudius
scheint sich oft mit Juden getroffen zu haben. Er kennt zahlreiche jüdische Erzählun-
gen/ nennt Übersetzungsnuancen und schreibt öfters mit so erstaunlicher Sachkennt-
nis über schwierige Details der hebräischen Sprache und an einer Stelle sogar zu deren
Claudius von Turin, Brevis Chronica, in: PL 104, Sp. 917D: Er arbeitet nur jzzxfa HcD'zzz'czzzzz
uez'iizziczzz. Zu Claudius vgl. JOHANNES HEIL, Claudius von Turin - Eine Fallstudie zur Ge-
schichte der Karolingerzeit, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 45 (1997), S. 389-412.
Brevis Chronica, Sp. 918D.
Hieronymus, Epistula 112, 20,5 (= CSEL 55, S. 391): siczzEz' dzzülzzs, HeHaeos z'zzicz'z'oyzz. Für wei-
tere nahezu identische Formulierungen, vgl. REBENICH, Jerome: The »vir trilinguis«, S. 74,
Anm. 84.
Aurelius Augustinus, De civitate Dei XV,14, S. 43: Eia ucz'o zzzzzzzcz'oz'zzzzz uazdefas, zpzzzc z'zzlcz' Codi-
ces HeHaeos z'zzuezzz'fzzi* ei zzosiros [...] ei si zyzzz'd izaEef da dinerszzzzz, zzf uerzzzzz esse zzfrzzzzzzpze zzoz:
possz'i, rerzzzzz ^esfarzzzzzyi'des af? ea iz'zz^zza repefezzda esi, ex zpza z'zziezpreiaizzzzz esi zyzzod izaEezzzzzs.
Vgl. bspw. Commentarium in Genesim, in: PL 50, Sp. 918B: TTadzzzzi HcDaci 77 azzdzzas ex Ea-
zzzeciz pro^ezzz'e reperirz' [...]; Sp. 944A: Tradzzzzf azzfezzz HeEraez' ex izac occasz'ozze z'sfz'zzszzzodz'yafzzziazzz,
zpzod /lü'aizazzz z'zz z'yzzczzz zzzz'sszzs sz'i, zpzia z'yzzczzz adoz'az'c zzoizzerz'i. Dieser Text wurde von der äl-
teren Forschung fälschlicherweise Eucherius zugeschrieben, von BLUMENKRANZ, Les auteurs
chretiens latins, S. 150f., aber glaubhaft Claudius von Turin zugewiesen.