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Haeberli, Simone; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Der jüdische Gelehrte im Mittelalter: christliche Imaginationen zwischen Idealisierung und Dämonisierung — Mittelalter-Forschungen, Band 32: Ostfildern, 2010

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.34910#0069

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56 I. Konzeptionelle Rahmenbedingungen mittelalterlicher Judendarstellung

1.5.4 Das eschatologische Judentum
Widersprüchlich gestaltet sich die Darstellung der Juden am Ende der Zeiten. Werden
sie kollektiv bekehrt und errettet oder sind sie auf ewig verloren und - schlimmer noch
- in die Händel des Antichrist direkt verstrickt? Die Schriften des Neuen Testaments
weisen unterschiedliche Aussagen über die Erwählung der Juden als Volk Gottes
auf. ^ In den Evangelien stehen Passagen, die als Verwerfung der Juden gelesen wer-
den können. Viele von ihnen beziehen sich auf alttestamentliche Prophezeiungen.^
Besonders deutliche Worte spricht Jesus gegenüber den Pharisäern in Mt 21,42ff., wo er
ihnen ankündigt, dass ihnen das Reich Gottes weggenommen wird. Im Römerbrief da-
gegen wird wiederholt und in aller Deutlichkeit darauf hingewiesen, dass Gott keine
Berufung rückgängig macht, dass somit das von ihm erwählte Volk nicht verstoßen
wird [Röm 11,2 und Röm 11,29]:
»Gott hat sein Volk nicht verstoßen, das er einst erwählt hat.«
»Denn unwiderruflich sind Gnade und Berufung, die Gott gewährt.«
Die christliche Auffassung der Verwerfung des jüdischen Volkes kann im Mittelalter
aus der aktuellen Situation des Judentums heraus leicht bewiesen werden. Ein unstetes
Leben ohne Zentrum, die Abhängigkeit von der Gunst der jeweiligen Mehrheitsbevöl-
kerung und ihrer Herrscher, die Ohnmacht gegenüber tätlichen Übergriffen - in all
dem sahen viele mittelalterliche Christen den Beweis dafür, dass die Juden von Gott
verworfen sind. Mehr noch: dass sie verdientermaßen im Elend leben, nämlich als Stra-
fe dafür, dass sie den Messias verworfen hatten.^ Das Elend ist nach christlicher Auf-
fassung vollkommen selbst verschuldet. Als die Juden vor Pilatus riefen [Mt 27,25]:
»Sein Blut komme über uns und unsere Kinder!«, verfluchten sie sich selbst. In Dispu-
tationen mit Juden wird zudem immer wieder darauf hingewiesen, dass sich die Pro-
phezeiung aus Gen 49,10 erfüllt hat: »Nie weicht von Juda das Zepter, der Herrscher-
stab von seinen Füßen, bis der kommt, dem er gehört, dem der Gehorsam der Völker
gebührt.«'^ Mit dem Ende der jüdischen Königsherrschaft endet auch ihre Berufung,
sie leben fortan als Knechte der Völker.

Eine Zusammenstellung der neutestamentlichen Prophezeiungen über Israel bietet GOTTLOB
SCHRENK, Die Weissagung über Israel im Neuen Testament, Zürich 1951.
In Röm 10,19 nimmt Paulus die Drohung Gottes aus Deut 32,21 auf, dass er die Juden auf ein
Volk eifersüchtig machen will, das kein Volk und zudem unverständig ist. Für Paulus sind
damit eindeutig die Heiden gemeint, die neu in die Gnade Gottes aufgenommen worden
sind. Zur Bekräftigung fügt Paulus sodann Jes 65,1 an: »Ich ließ mich finden von denen, die
nicht nach mir suchten; ich offenbarte mich denen, die nicht nach mir fragten.«
Als nur ein Beispiel unter vielen sei die Kaiserchronik genannt, vgl. den Kommentar der Er-
zählerinstanz zur Zerstörung Jerusalems durch Titus KChr 1002-1010: do piaici diu potcs zizcdc
/ ader ade Edrez'sde dz'et. / da cor wäre?; sz' ^ote iz'ep / azzt wäre?; da trizte. / aozz z'r ^rdzezz azzdizsde / Mat
aozz z'r zzzzzadte / aerizzrzz sz' zzzz't redte / die dzzide ir derrezz; / zeazzoret sz'zzt sz' z'eazer azere.
Vgl. bspw. Hans Folz, Christ und Jude, in: Hans Folz, Die Reimpaarsprüche, hg. von Hanns
Fischer, München 1961, S. 226-242, hier: S. 234: V. 295-302: Docd das Messias daazazezz sei/ / So
dör, was Jacod sa^t darpei/; / >Ezzcd zzz'azpt das zepter zzz'eazazzi, wist, / Pis der dzzazpt, der za sezzdezz
z'st.< / Sprz'cdsta dazz, er sei/ zzocd az't daazazezz, / Wie ist ezzcd dazz das zepter ^ezzaazazezz? / Sprz'cdsta
dazz, es soi zzocd ^escdeezz, / So tat ewr dz'zzz^ aizd^zirstezz sedezz.
KChr 1061ff.: dao wardezz die czzedte / die aozz adeie azzt aozz redte / reweite aarstea soitezz szzz.
 
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