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Haeberli, Simone; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Der jüdische Gelehrte im Mittelalter: christliche Imaginationen zwischen Idealisierung und Dämonisierung — Mittelalter-Forschungen, Band 32: Ostfildern, 2010

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.34910#0294

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111.4 Der jüdische Gelehrte als Witzfigur

281

Beide hier besprochenen Reimpaarsprüche von Hans Folz sind trotz hämisch ausge-
schlachteter Vorurteile und trotz der zelebrierten Dummheit der Juden nicht vollkom-
men plump konstruiert. In beiden Erzählungen verfügen die Rezipienten über mehr In-
formationen als die jüdischen Figuren im Text, was deren gesamtes Handeln, das Folz
mit boshafter Akribie schildert, absurd und umso komischer erscheinen lässt. In beiden
Reimpaarsprüchen gelingt es einem einzelnen Individuum, die Juden aufgrund ihrer
Falschgläubigkeit zu betrügen und sie mit eigenen Mitteln zu schlagen. Dass Juden
aufgrund ihrer (vergeblichen und somit dummen) Messiaserwartung selbst auf ihrem
Spezialgebiet, dem Handel, versagen, muss auf die Nürnberger Stadtbevölkerung, wel-
che die Juden sicher auch als Händler kannte, besonders komisch gewirkt haben. Folz
berücksichtigt sorgfältig die Vorurteilsstruktur seiner potentiellen Käuferschaft/' er-
laubt sich bereits in Fassung a deftige Zoten, mischt aber Ordinäres hier noch mit Wit-
zigem, wie beispielsweise den Wortspielen in den >Wahrsagerbeeren<, die auch das
Publikum zunächst entschlüsseln musste und dabei intellektuelle Belustigung verspür-
te. In der späteren Fassung b jedoch nimmt das Grobschlächtige - das spätere Bearbei-
ter übrigens wieder aus der Erzählung entfernen^ - größeren Raum ein und weist
durch seine ausgeprägte Fäkalsprache auf die hochproblematischen Fastnachtsspiele
desselben Autors hin, mit denen die literarische Gestaltung der jüdischen Gelehrtenfi-
gur ihren absoluten Tiefpunkt erreicht.

111.4.3 Entstellung und Verunglimpfung des jüdischen Gelehrten
Bereits im Spiel >Kaiser Constantinus< (vgl. oben S. 215), einer Bühnenfassung der Sil-
vesterlegende von etwa 1474,^ finden sich einige Spitzen gegen die Juden, die ein-
deutig Zutaten von Hans Folz sind. So sind es jüdisch erzt, die dem Kaiser raten, seinen
Aussatz mit dem Blut von 3000 Kindern zu heilen; durch die Bezeichnung der b'nd/dn
als Areüsdi und rein provoziert Folz geradezu den Gedanken an angebliche jüdische Ri-
tualmorde. Weitere antijüdische Elemente sind das beliebte Motiv des jüdischen Gebets
als unverständlichem Kauderwelsch^* (KC 798,3-21) und die bösartige Unterstellung,
dass die Juden nur konvertieren, weil sie endlich auch Schweinswürste essen wollen -

Vgl. dazu besonders WENZEL, Zur Judenproblematik, S. 88f.
DAVID BLAMIRES, Hans Folzens >Die Wahrsagerbeeren< als Quelle für >Ulenspiegel<, Histo-
rie 35, in: ZfdA Hl (1982), S. 53-60, hier: S. 54-58. Auch Heinrich Bebel nimmt die Geschichte
unter dem Titel >De mercatore et Iudaeo< in seine >Facetiae< auf, vgl. die Ausgabe von Fuhr-
mann, Buch II, Nr. 46, S. 120f. Die Geschichte spielt dort nur zwischen einem christlichen
und einem jüdischen Kaufmann: der Käufer erhofft sich mit Hilfe der in Seide eingewickel-
ten Kostbarkeit, die in Erfüllung gehen lässt, was man sich gedanklich vorstellt, zu noch
mehr Reichtümern zu gelangen. Messiaserwartungen oder rabbinische Gelehrsamkeit kom-
men nicht vor. Allerdings findet sich eine Charakterisierung »des Juden« als neugierige Men-
schen, welche die Angewohnheit haben, alles heimlich erforschen und herausfinden zu müs-
sen: ebd., S. 61, 6f: Indiens, cazas ^eaerz's mos esf oazaz'a fache speczdarz ef expiorare.
FISCHER, Altes und Neues, S. 225. Der Hinweis stammt aus dem Text selbst, vgl. KC 815,21f.:
Warn: es zzzzzz fezz^er Faf^ar mar / Gemerf, dazz nz'erzefzezzfzMzzderf drezMzzdsz'Fezzzz'^ jar.
Folz ist nicht der erste und nicht der einzige, der das Motiv des sinnlosen Sprechens der Ju-
den benutzt, vgl. WINFRIED FREY, Pater noster Pyrenbitz. Zur sprachlichen Gestaltung jüdi-
scher Figuren im deutschen Theater des Mittelalters, in: Aschkenas 2 (1992), S. 49-71; für
weitere Beispiele vgl. WENZEL, »Do worden die Judden alle geschant«, S. 223f.; dazu das Kün-
zelsauer Fronleichnamsspiel, hg. von Peter K. Liebenow, Berlin 1969, S. 170.
 
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