111.2 Jüdische Gelehrte im Dienst des Christentums
In der christlichen Legende kommen jüdische Figuren in unterschiedlichsten Funktio-
nen vor/ Häufig sind Juden Herausforderer und Gegner des vergleichsweise jungen
Christentums. Ähnlich wie man sie aus den Evangelien als Gegner Jesu und der
Apostel kennte treten sie in den christlichen Legenden häufig als erbitterte Gegner des
neuen Glaubens auf, die auch vor Handgreiflichkeiten nicht zurückschrecken (vgl. das
Kapitel »Jüdische Figuren in der christlichen Legende« oben ab S. 54 Das Judenbild in
den Legenden ist aber weder einheitlich noch einhellig negativ. Vielmehr können Ju-
den in legendarischen Erzählungen auch einen Gewinn für das Christentum darstellen,
wobei dies grundsätzlich auf zwei Arten geschehen kann: entweder wird jüdisches
Wissen benötigt, um an christliches Erbe zu gelangen, namentlich an wertvolle Reli-
quien. Oder aber Juden werden auf unterschiedliche Weise zu Zeugen christlicher
Wahrheit und bestätigen so den Wahrheitsanspruch des Christentums.
111.2.1 Der jüdische Weise als Schlüssel zu christlichen Schätzen
Zwei alte und breit überlieferte Beispiele zeigen, wie Christen auf jüdisches Wissen an-
gewiesen sind, wenn sie in den Besitz ihrer eigenen Schätze gelangen wollen. Speziell
augenfällig ist die jüdische Vermittlung in der Legende um die Auffindung des wahren
Kreuzes durch die Heilige Helena, Mutter Konstantins des Großen, des ersten christli-
chen Kaisers.' In dieser Legende ist die Gegenwart eines jüdischen Weisen notwendig,
um das Kreuz Christi zu lokalisieren. Im zweiten Beispiel, der Auffindung der Kno-
chen des Heiligen Stephanus, erscheint ein besonders prominenter jüdischer Gelehrter
einem christlichen Geistlichen im Traum und weist ihm die Stelle, an der Stephanus
und weitere Gerechte begraben liegen. In beiden Fällen wären die Christen ohne jüdi-
sches Wissen nicht in der Lage gewesen, an die heiligen Reliquien zu gelangen.
111.2.1.1 Ein Weiser namens Judas in der Kreuzauffindungslegende
Die Kreuzauffindungslegende ist eine zentrale Legende des Christentums. Entsprech-
end dicht und vielfältig ist im Mittelalter die Überlieferung des Stoffes in lateinischer/
' BLUMENKRANZ, Juden und Jüdisches in christlichen Wundererzählungen; LOEWE, Die Juden
in der katholischen Legende. Zu Juden in Marienmirakeln vgl. ORA LIMOR, Mary and the
Jews: Story, Controversy, and Testimony, in: Historein 6 (2006), S. 55-71.
Zu Konstantin und Helena vgl. das Kapitel »Die Silvesterlegende« unten ab S. 202. Zu den
Helenalegenden vgl. JAN WILLEM DRIJVERS, Helena Augusta. The Mother of Constantine the
Great and the Legend of Her Finding of the True Cross, Leiden et al. 1992; PAULA GIERSCH,
Der Heilige in der zweiten Reihe. Das schwierige Erbe Konstantins des Großen im lateini-
schen Westen von der Antike bis ins Mittelalter, Berlin 2007, S. 20-44.
Ausgabe von ALFRED HOLDER, Inventio Sanctae Crucis, Leipzig 1889; zur Überlieferung der
Legende und ihren Versionen vgl. STEPHAN BORGEHAMMAR, How the holy cross was found.
Lrom Event to Medieval Legend (= Bibliotheca Theologiae Practicae 47), Stockholm 1991; mit
Ausgaben von vier lateinischen Versionen in ihrem griechischen Zusammenhang S. 199-300.
Zu syrischen, griechischen und lateinischen Versionen [in Parallelabdruck] und ihrem Zu-
sammenhang vgl. JOHANNES STRAUBINGER, Die Kreuzauffindungslegende. Untersuchungen
In der christlichen Legende kommen jüdische Figuren in unterschiedlichsten Funktio-
nen vor/ Häufig sind Juden Herausforderer und Gegner des vergleichsweise jungen
Christentums. Ähnlich wie man sie aus den Evangelien als Gegner Jesu und der
Apostel kennte treten sie in den christlichen Legenden häufig als erbitterte Gegner des
neuen Glaubens auf, die auch vor Handgreiflichkeiten nicht zurückschrecken (vgl. das
Kapitel »Jüdische Figuren in der christlichen Legende« oben ab S. 54 Das Judenbild in
den Legenden ist aber weder einheitlich noch einhellig negativ. Vielmehr können Ju-
den in legendarischen Erzählungen auch einen Gewinn für das Christentum darstellen,
wobei dies grundsätzlich auf zwei Arten geschehen kann: entweder wird jüdisches
Wissen benötigt, um an christliches Erbe zu gelangen, namentlich an wertvolle Reli-
quien. Oder aber Juden werden auf unterschiedliche Weise zu Zeugen christlicher
Wahrheit und bestätigen so den Wahrheitsanspruch des Christentums.
111.2.1 Der jüdische Weise als Schlüssel zu christlichen Schätzen
Zwei alte und breit überlieferte Beispiele zeigen, wie Christen auf jüdisches Wissen an-
gewiesen sind, wenn sie in den Besitz ihrer eigenen Schätze gelangen wollen. Speziell
augenfällig ist die jüdische Vermittlung in der Legende um die Auffindung des wahren
Kreuzes durch die Heilige Helena, Mutter Konstantins des Großen, des ersten christli-
chen Kaisers.' In dieser Legende ist die Gegenwart eines jüdischen Weisen notwendig,
um das Kreuz Christi zu lokalisieren. Im zweiten Beispiel, der Auffindung der Kno-
chen des Heiligen Stephanus, erscheint ein besonders prominenter jüdischer Gelehrter
einem christlichen Geistlichen im Traum und weist ihm die Stelle, an der Stephanus
und weitere Gerechte begraben liegen. In beiden Fällen wären die Christen ohne jüdi-
sches Wissen nicht in der Lage gewesen, an die heiligen Reliquien zu gelangen.
111.2.1.1 Ein Weiser namens Judas in der Kreuzauffindungslegende
Die Kreuzauffindungslegende ist eine zentrale Legende des Christentums. Entsprech-
end dicht und vielfältig ist im Mittelalter die Überlieferung des Stoffes in lateinischer/
' BLUMENKRANZ, Juden und Jüdisches in christlichen Wundererzählungen; LOEWE, Die Juden
in der katholischen Legende. Zu Juden in Marienmirakeln vgl. ORA LIMOR, Mary and the
Jews: Story, Controversy, and Testimony, in: Historein 6 (2006), S. 55-71.
Zu Konstantin und Helena vgl. das Kapitel »Die Silvesterlegende« unten ab S. 202. Zu den
Helenalegenden vgl. JAN WILLEM DRIJVERS, Helena Augusta. The Mother of Constantine the
Great and the Legend of Her Finding of the True Cross, Leiden et al. 1992; PAULA GIERSCH,
Der Heilige in der zweiten Reihe. Das schwierige Erbe Konstantins des Großen im lateini-
schen Westen von der Antike bis ins Mittelalter, Berlin 2007, S. 20-44.
Ausgabe von ALFRED HOLDER, Inventio Sanctae Crucis, Leipzig 1889; zur Überlieferung der
Legende und ihren Versionen vgl. STEPHAN BORGEHAMMAR, How the holy cross was found.
Lrom Event to Medieval Legend (= Bibliotheca Theologiae Practicae 47), Stockholm 1991; mit
Ausgaben von vier lateinischen Versionen in ihrem griechischen Zusammenhang S. 199-300.
Zu syrischen, griechischen und lateinischen Versionen [in Parallelabdruck] und ihrem Zu-
sammenhang vgl. JOHANNES STRAUBINGER, Die Kreuzauffindungslegende. Untersuchungen