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Haeberli, Simone; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Der jüdische Gelehrte im Mittelalter: christliche Imaginationen zwischen Idealisierung und Dämonisierung — Mittelalter-Forschungen, Band 32: Ostfildern, 2010

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https://doi.org/10.11588/diglit.34910#0100

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11.4 Kleriker sprechen über jüdische Gelehrte

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So wie Hrabanus den Kontakt hier beschreibt, ist es unklar, ob er rein mündlicher Art
war (dz'xz't) oder ob Hrabanus in der Lage war, in seinen Büchern zu lesen (scn'pfnm rep-
pcn). Derselbe jüdische Gelehrte scheint auch in seinem späteren Begeleitschreiben zu
den Chroniken von etwa 834 gemeint zu sein, in dem er König Ludwig dem Deutschen
ein sehr ähnliches Vorgehen beschreibt. Zunächst merkt Hrabanus an, dass die Juden
die Paralipomena Dahrcz'zwu'n nennen. Es müsste zwar Dibre-Hajamim heißen, aber er
übersetzt den Titel korrekt mit Verhz? Anschließend schildert er seine Arbeits-
weise: wie schon früher gibt er auch bei diesem Kommentar an, so vorgegangen zu
sein, dass er die Meinungen (opz'nz'ones) eines zeitgenössischen Hebräers und blühenden
Schriftgelehrten an zahlreichen Stellen eingeflochten habe:
Jzz zpzzhns sz'cnf cf z'zz pracsczzfz opere^ct, Josepfzz Jzzdacorzzzzz fzz'stoz'z'cz',
zzarrafz'ozzczzz, zzeczzozz cf Hcfzracz czzz'zzsdazzz, zzzodcrzzz's fczzzporz'fzzzs z'zz fcgz's
scz'czzfz'ayforczzfz's opz'zzz'ozzcs pfcn'spzzc z'zz focz's z'zzfcrposzzz; scd non z'fa, zzf
z^zzasz fccforczzz z'zzuz'fzzzzz ad z'psorzzzzz fradz'fz'ozzz's adsczzszzzzz pcrfrafzcrczzz,
scd zzza^z's z'zzdz'cz'o ac profzafz'ozzz z'psz'zzs z'Na dcrcfz'zz^zzczzs/"
Wie schon im ersten Zitat, wo Hrabanus deutlich macht, dass die Meinung des Hebrä-
ers nicht als Autorität neben die großen Kirchenväter und Kleriker gestellt werden soll,
sondern einfach zur Ergänzung dastünde und als reine Meinungen dem Urteil des Le-
sers überlassen seien, relativiert er auch hier die Aussagen dieses Juden. Keineswegs
will er den widerstrebenden Leser dazu bringen, sich den jüdischen Lehrmeinungen
anzuschließen, vielmehr überlässt er dies ganz dem Urteil und der Billigung des Lesers
selbst. Diese Relativierung wurde Hrabanus von neuzeitlichen Wissenschafterlnnen
durchaus übel genommen: »[...] und obwohl er unter den Autoren, denen er seine
Kommentare verdankte auch den >hebraeus modernis temporibus< erwähnt, beeilt er
sich zu betonen, daß er diesem keinerlei Autorität beimessen würde, er wolle es seinem
Leser überlassen, sich ein Urteil darüber zu bilden.« Dieses Urteil ist insofern unge-
recht, als ein zeitgenössischer Jude, nach christlicher Auffassung also ein Falschgläubi-
ger, unmöglich als Autorität neben die Kirchenlehrer gestellt werden kann; vielmehr ist
bemerkenswert, dass Hrabanus ihm in zwei seiner Werke einen eigenen Platz zuge-
steht, ihn weder übergeht, abwertet, noch dessen Meinung als die eigene ausgibt. Hätte
er ihn gleichberechtigt neben die anerkannten katholischen Autoritäten gestellt, hätte
er sich mit Sicherheit dem gefürchteten Vorwurf des zzzdzzzzzzrc ausgesetzt gesehen.
Überhaupt ist recht viel Tinte zu diesem namenlosen Hebräer geflossen: So
schreibt etwa Heinrich Graetz in seiner Geschichte des Judentums, dass Hrabanus »ge-
steht [...], daß er von den Juden manches gelernt und in seine Kommentarien [...] ver-
webt habe.«^' Möglicherweise umsonst. Denn vieles deutet darauf hin, dass es diesen

Hrabanus Maurus, Epistola 18, in: MGH Epp 5, S. 422,34f.: Mczz*co decrenz exposz'fz'zzzzczzfzzzzz
zzosfrzzzzz z'zz fzhrzzzzz Pzzrzzfz'pozzzezzozz, zpzezzz Efvez Dzzfzrez'zzzzzz'zz zzzzzzczzpzzzzf, fzoc esf, uerfw zfz'erzzzzz, nesfrzze
zfzfecfzozzz Opern* [...]. Text auch als Prologus Rabani super librum Paralipomenon in: PL 109,
Sp. 279; Titel dort Dz'H'c Hzzjzzzzzzzz.
Hrabanus Maurus, Epistola 18, in: MGH Epp. 5, S. 423,33-37.
AWBRBUCH, Christlich-jüdische Begegnung, S. 204.
HEINRICH GRAETZ, Geschichte der Juden von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart, Bd. 5,
Leipzig '1909 [Ndr. Berlin 1998], S. 234; ebenso auch JULIUS ARONIUS, Regesten zur Geschich-
te der Juden im fränkischen und deutschen Reiche bis zum Jahre 1273, Berlin 1887, S. 42,
Nr. 100. Zunächst auch PAUL RlEGER, Vom Heimatrecht der deutschen Juden, in: Im deutschen
Reich 27/3 (1921), S. 79, der im Gelehrten Kalonymos ben Mose vermutet; später korrigiert er
 
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