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Schludi, Ulrich; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Die Entstehung des Kardinalkollegiums: Funktion, Selbstverständnis, Entwicklungsstufen — Mittelalter-Forschungen, Band 45: Ostfildern, 2014

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https://doi.org/10.11588/diglit.34761#0012

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1. Einleitung

In regelmäßigen Abständen wendet sich der Blick der breiten Öffentlichkeit,
von der Bilderflut des Fernsehens und Internets magisch angezogen, gen Rom
und richtet sich auf jenen kleinen Staat im Herzen der ewigen Stadt, in dem
sich der amtierende Papst, gebeugt von Alter oder Krankheit, darauf vorbe-
reitet, Platz zu machen für einen neuen Nachfolger Petri. Kaum aber ist die
Pchz durch Tod oder Rücktritt frei geworden, hebt sich der Vorhang
für den zweiten Akt: Die Vorbereitungen für die Wahl eines neuen Papstes
beginnen. Aus aller Welt reisen sie dann an, die Purpurträger, um die Wahl
des Nachfolgers zu vollziehen. Sie tun dies nach einem Wahlverfahren, das
im Kern immer noch auf den Papstwahlkanon des Dritten Laterankonzils von
1179 zurückgeht, der die Wahl des Papstes durch dieses Kollegium festschreibt
und - nach der letzten Papstwahländerung unter Benedikt XVI. aus dem Jahr
2013 zumindest für die ersten 30 Wahlgänge - eine Zweidrittelmehrheit als
Mindestquorum für eine gültige Wahl vorschreibt. So wird die Papstwahl auch
heute noch von einer Korporation durch geführt, deren Wurzeln im 11. und
12. Jahrhundert nach Christus liegen: den Kardinälen. Doch nehmen diese
auch jenseits der Papstwahl einen ganz besonderen, herausragenden Platz in
der römisch-katholischen Kirche ein: als Leiter der Abteilungen der Kurie ge-
nauso wie als Inhaber der bedeutendsten Metropolitansitze der katholischen
Christenheit. So stellen sie innerhalb des Kollegiums der Bischöfe die Spitzen-
gruppe dar und werden als solche seit Johannes Paul II. immer wieder zu Au-
ßerordentlichen Konsistorien nach Rom eingeladen, um hier die drängendsten
Fragen der kirchlichen Gegenwart zu diskutieren und dem Papst Lösungswege
vorzuschlagen. Ja, sie nehmen de facto, wenn auch nicht de iure, als Vorsteher
der Abteilungen der Kurie zusammen mit dem Papst die Leitung der Kirche
wahr.' Entsprechend hatte es noch bis 1983, ehe der neue Codex des Kirchen-
rechts promulgiert wurde, im Codex iuris canonici von 1917 geheißen: »Die
Kardinäle der Heiligen Römischen Kirche stellen den Senat des Römischen
Pontifex dar.«^
Beide Aufgaben aber, die Wahl des Papstes und seine Beratung, also die Lei-
tung der Kirche gemeinsam mit demselben, sind Tätigkeiten, die von Anfang
an mit dem Kardinalkollegium verknüpft waren. Beide Aufgabenfelder mach-
ten das Kollegium auch schon im 12. Jahrhundert aus, als mit den Kardinälen
eine in ihren Aufgaben und Funktionen neue Personengruppe entstanden war,
die ihren Ausgangspunkt in der Kirchenreform ab der Mitte des 11. Jahrhun-
derts genommen hatte; denn während der Kirchenreform wandelte sich auch
das episkopalistische System des ersten nachchristlichen Jahrtausends in die

1 Vgl. QuiNN, Reform, S. 127-161.
2 Codex Iuris Canonici, c. 230: S.R.P. CardmaLs Sonainm Roman; Ponfi/ias consh'fMMMf.
 
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