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aus . . ., so wird man eine von den komischen Figuren sehen, mit denen uns
Harlekin und Colombine unser Leben lang- zu entzücken wussten." Der Grund
für eine solche Darstellung liegt ihm in dem Kunstprincip, wonach das Wider-
wärtige und Abscheuliche nur komisch behandelt und dargestellt werden kann.
Und so sieht er auch in dem lemurischen Bilde die Erfahrung bestätigt, „dass
uns die komischen und neckischen Exhibitionen solcher Talente oft mehr aus
dem Stegreife ergötzen, als die ernsten und würdigen". Ebenso sind aber die
Lemuren im Faust trotz ihrer widerwärtigen und scheußeligen Gestalt oder
wegen derselben zugleich in komischer Positur zu denken. Deshalb singen sie
ihren dem Todtengräberlied im Hamlet nachgebildeten Text „mit neckischen
Geberden grabend", genau sowie auch die widerwärtige Gestalt des Todten-
gräbers im Hamlet durch Komik gemildert wird. Vergleicht man das Lemuren-
lied im Faust mit dem Todtengräberlied im Hamlet, so findet man die ersten
beiden Zeilen der ersten Strophe fast wörtlich übereinstimmend, die letzten zwei
so variiert, dass, während das Lied im Hamlet bloß allgemein des jugendlichen
Vergnügens gedenkt, im Faust speciell der Tanz erwähnt wird, den die singen-
den Lemuren in frischer Jugend geübt haben und dessen sie sich nun erinnern.
Als einen antiken Geniestreich bezeichnet es Goethe, dass in dem Bildercyclus
„zwischen ein menschliches Schauspiel und ein geistiges3) Trauerspiel eine lemu-
rische Posse, zwischen das Schöne und Erhabene ein Fratzenhaftes hineingebildet
wird." So steht auch die Lemurenposse zwischen den menschlichen und den
himmlischen Schicksalen Fausts.
II. Zu Philostratos.
Als Faust von Chiron erfragen will, wo er Helena finden könne, und dieser
ihm in der Wundernacht plötzlich begegnet und von Faust zum Bleiben auf-
gefordert wird, erklärt er, nicht rasten zu können, und lässt Faust aufsitzen.
Während des Rittes erfährt Faust von ihm, dass er die Helena „auf diesem
Rücken" getragen habe.
Sie fasste so mich in das Haar
Wie du es thust.
Er erzählt, wie er sie über die Sümpfe bei Eleusis getragen,
da sprang sie ab und streichelte
die feuchte Mähne . .
Niemand wird verkennen, dass Chiron als Centaur gedacht werden muss,
der auf seinem eigenen Rücken einst Helena trug und jetzt Faust trägt. Wie
3) Zu verstehen als Trauerspiel der Geister, etwa im Sinne von geistisch.
aus . . ., so wird man eine von den komischen Figuren sehen, mit denen uns
Harlekin und Colombine unser Leben lang- zu entzücken wussten." Der Grund
für eine solche Darstellung liegt ihm in dem Kunstprincip, wonach das Wider-
wärtige und Abscheuliche nur komisch behandelt und dargestellt werden kann.
Und so sieht er auch in dem lemurischen Bilde die Erfahrung bestätigt, „dass
uns die komischen und neckischen Exhibitionen solcher Talente oft mehr aus
dem Stegreife ergötzen, als die ernsten und würdigen". Ebenso sind aber die
Lemuren im Faust trotz ihrer widerwärtigen und scheußeligen Gestalt oder
wegen derselben zugleich in komischer Positur zu denken. Deshalb singen sie
ihren dem Todtengräberlied im Hamlet nachgebildeten Text „mit neckischen
Geberden grabend", genau sowie auch die widerwärtige Gestalt des Todten-
gräbers im Hamlet durch Komik gemildert wird. Vergleicht man das Lemuren-
lied im Faust mit dem Todtengräberlied im Hamlet, so findet man die ersten
beiden Zeilen der ersten Strophe fast wörtlich übereinstimmend, die letzten zwei
so variiert, dass, während das Lied im Hamlet bloß allgemein des jugendlichen
Vergnügens gedenkt, im Faust speciell der Tanz erwähnt wird, den die singen-
den Lemuren in frischer Jugend geübt haben und dessen sie sich nun erinnern.
Als einen antiken Geniestreich bezeichnet es Goethe, dass in dem Bildercyclus
„zwischen ein menschliches Schauspiel und ein geistiges3) Trauerspiel eine lemu-
rische Posse, zwischen das Schöne und Erhabene ein Fratzenhaftes hineingebildet
wird." So steht auch die Lemurenposse zwischen den menschlichen und den
himmlischen Schicksalen Fausts.
II. Zu Philostratos.
Als Faust von Chiron erfragen will, wo er Helena finden könne, und dieser
ihm in der Wundernacht plötzlich begegnet und von Faust zum Bleiben auf-
gefordert wird, erklärt er, nicht rasten zu können, und lässt Faust aufsitzen.
Während des Rittes erfährt Faust von ihm, dass er die Helena „auf diesem
Rücken" getragen habe.
Sie fasste so mich in das Haar
Wie du es thust.
Er erzählt, wie er sie über die Sümpfe bei Eleusis getragen,
da sprang sie ab und streichelte
die feuchte Mähne . .
Niemand wird verkennen, dass Chiron als Centaur gedacht werden muss,
der auf seinem eigenen Rücken einst Helena trug und jetzt Faust trägt. Wie
3) Zu verstehen als Trauerspiel der Geister, etwa im Sinne von geistisch.