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Grothe, Hugo [Oth.]
Orientalisches Archiv: illustrierte Zeitschrift für Kunst, Kulturgeschichte u. Völkerkunde der Länder des Ostens — 3.1912/​1913

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Kleine Mitteilungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.69722#0140

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Kleine Mitteilungen.
Feinde südwärts. Die Turkmenen erscheinen in ihren
iranischen Rassezutaten, dem feineren Gesichtsschnitt, den
großen herrlichen Augen, dem hohen Wuchs und der
sicheren Haltung vornehmer, dünken sich auch als edleres
Element, unterliegen aber im Rassekampfe.
Dies sind im wesentlichen die wissenschaftlich wert-
vollen und auch allgemein interessierenden Ergebnisse der
Beobachtungen von Karutz. Doch nicht in Form nüchterner
ethnographischerThesen bietet uns der Autor seinen Gewinn,
sondern formgewandt, reich an persönlichen kleinen Zügen,
ausgestattet mit zahlreichen fesselnden Einzelheiten. Schon
das Eingangskapitel, die beredte Schilderung der bald heiß-
glühenden, bald melancholisch zarten und durchsichtigen
Farben, in die zu verschiedenen Jahres- und Tageszeiten,
bei Sonnen- und Mondenlicht die Wolgalandschaft sich
kleidet, verrät die freie Ausschau eines Menschen, der über
dem Tiefblick in seine Wissenschaft nicht wie viele Ge-
lehrte den Horizont der großen Weite, den die Schauspiele
der Natur dem empfindsamen Menschen eröffnen, verloren
hat. Ich stelle eine derartige Schilderung als Beispiel hier-
her, um die Durchgeistigung zu zeigen, die der Schilderung
innewohnt, die streng naturwissenschaftlich (und nicht rein
phantastisch wie Pierre Loti) sieht und doch in Stil und
Stimmung Farben von der Palette des künstlerisch be-
schreibenden Schriftstellers nimmt.
„Die stille Schlichtheit der Wolga-Landschaft kleidet
sich in ein eigentümlich helles Licht- und Luftgewand, das
ihr überraschend gut steht. Jede Jahreszeit hat da ihre
eigene Schönheit. Im Herbst sah ich das Wasser glatt
und schwerflüssig wie geschmolzenes Blei, mit tiefen,
scharfen Spielungen, die Luft von einer großen durch-
sichtigen Klarheit, die jede Weide auf den Wiesen, jeden
Block im brüchigen Uferhang, die fernen Randlinien des
Plateaus wie die nahen Schluchten in seinen Wänden
gleich plastisch greifbar umfaßt, eine Klarheit, die um so
fremder, stiller, einsamer, kälter wirkt, als sie sich um eine
Landschaft legt, deren Schlichtheit keine Farbe liebt und
deren Einfachheit sich der Anmut des Formenwechsels
verschließt. Der Sommer bringt die schlackenlosen Sonnen-
aufgänge über die Steppe, die prachtvollen blauen Himmel,
die gegen den Horizont zu hellen, fast schmerzhaft blen-
dendem Schein verblassen, das in zahllosen Schimmer-
streifen aufblitzende Flimmern der leichtgekräuselten blauen
lichtübergossenen Wolgaflut und vor allem die Sonnen-
untergänge. Ich denke an einen Abend auf den Hügeln von
Samara. Die Sonne war eben hinter jenen Wäldern ver-
schwunden, die im Frühjahr von den Überschwemmungs-
wassern auf Meilenweite überdeckt sind. Da wurde über
ihnen ein Glühen und Brennen, eine Feuersbrunst von un-
erhörter, zügelloser Gewalt; glühende Ströme schienen
entfesselt ihre Schranken zu durchbrechen und mit einer
wilden, leuchtenden Lohe den ganzen Himmel in eine
einzige mächtige Flut zu tauchen. Ein schwerer Vorhang
von unsagbar schönem Purpur deckte noch lange mit
seinem tiefen, warmen Glanz das Firmament von Pol zu
Pol.“
Welche Stoffülle das Werk von Karutz bietet, auf die
wir hier nicht näher einzugehen vermögen, zeigen die
Kapitelüberschriften „Aul und Kibitke“, „Geburt und Kind-

heit“, „Hochzeit und Ehe“, „Krankheit und Tod“, „Aus
Glauben und Aberglauben“. Im Abschnitt „Die kirgisische
Linie“ sucht der Verfasser nachzuweisen, das die Anlage
des mongolischen Wesens nach einer linearen Zierkunst
hindrängt, daß die Stoffe, die dem Nomaden zur Ver-
zierung zur Verfügung stehen (Milchbehälter aus Schaf-
magen, Eimer aus Fell, Säcke aus Haut, Gewänder aus
Filz) auch eine künstlerische Gestaltung durch das Orna-
ment nicht vertragen. Wer die Erzeugnisse kaukasischer
und persischer Knüpfkunst kennt, bei denen, soweit Ta-
taren und Mongolen ihre Erzeuger sind (Teppiche des
Karadagh, solche der Gegend von Kain in Ostpersien, die
als Belutschenteppiche in den Handel kommen), der wird
auch da das Vorwalten linearer Ornamentik beobachtet
haben. Im Kapitel „Tausend und eine Nacht“ werden uns
kirgisische und turkmenische Märchen geboten, im Schluß-
abschnitt finden sich Notizen über kirgisische Musikinstru-
mente und Notenwiedergaben von Melodien (auf Grund
phonographischer Aufnahmen). Grothe.
Des Prinzen Arnulf von Bayern Jagdexpedition
in den Tian-Schan. (Mit zwei Karten und 11 Voll-
bildern. München 1910. R. Oldenburg. XVI und 304
Seiten. Mk. 10.—.)
Der unglückliche Ausgang der Jagd- und Forschungs-
expedition, von der Prinz Arnulf von Bayern nicht in seine
Heimat zurückkehren sollte, hat das Interesse für den Ver-
schiedenen und für seine Zentralasienfahrt außerordentlich
rege gemacht. Seine Schwester, Prinzessin Therese von
Bayern, die durch ihre hervorragenden Studien und Reisen
sich einen Ruf als treffliche und ernste Beobachterin er-
worben hat, unternahm es mit liebevoller Sorgfalt, an der
Hand der Tagebücher, Briefe und photographischen Auf-
nahmen des Verewigten eine möglichst lebendige und treue
Schilderung der von ihrem Bruder ausgeführten zentral-
asiatischen Reise zu entwerfen. Mit welcher Gewissen-
haftigkeit sie dabei zu Werke gegangen ist, zeigt die Ein-
leitung, die ziemlich genau von den Verfahren berichtet,
die sie bei Verarbeitung der Hinterlassenschaft des Prinzen
Arnulf einschlug. Und der Text selbst mit seinen zahlreichen
Anmerkungen geographischer, ethnographischer, zoologi-
scher, botanischer und linguistischer Natur, ebenso das bei-
gegebene Literaturverzeichnis u. a. m. verrät die Erfahrung
der wissenschaftlich arbeitenden und denkenden Heraus-
geberin, so daß wohl zu glauben ist, was Prinzessin
Therese am Schlüsse der Einleitung sagt: „Mir scheint es
jetzt, nach getaner Arbeit, als hätte ich die Reise selbst
unternommen; dermaßen fühle ich mich in den Gegenden
und Verhältnissen heimisch geworden.“
Die Fahrt des fürstlichen Reisenden ging in die Ge-
birgslandschaften des östlichen Fergana und der west-
lichen Mongolei, deren Zentrum das chinesische Tuldja
ist, in jene Steppengebiete, die von majestätischen bis
7000 m hohen Bergketten umrahmt werden, sowie in die
zauberhaft wilden Gebirgstäler jener Ketten selbst, vor
allem des zentralen Tien-Schan mit seinen vergletscherten
Riesenkuppen und Hochtälern. Infolge des rühmenswerten
Entgegenkommens der russischen Behörden und der kun-
digen Führung desTien-Schan-Forschers Merzbacher wurden

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