Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Das Rechtswesen.

Die germaniſchen Stämme hatten trotz gleicher Grundanschauung ihre Rechts-
gewohnheiten verschieden entwickelt; in Passau galt also in ältester deutscher
Zeit das baiwariſche Stam mesrecht. Es wurde unter dem Herzog Theudo
um 700 in der Ewa d. i. Gesetzbuch zuſammengefaßt aus Königs- und Volks-
recht im Anschluß an Rechte der Langobarden, Westgoten und Franten, unter
Oatilo um 744 und unter Tassilo I]. um 770 zeitgemäß ergänzt. Da ſſeine
Grundzüge jahrhundertelang in Geltung blieben, mögen sie kurz aufgeführt sein:

Recht ſprach das Volk. Das Gericht., Ding genannt, fand alle 14 Tage
oder 4 Wochen bei Tage statt. Die Gerichtsſtätte war festgelegt an einem
bestimmten Platz und hieß Dingſstatt oder abgekürzt ebenfalls Ding.
Den Vorsitz der Verhandlung,?!) führte in frühester Zeit der Richter, wozu nach
germaniſcher Gewohnheit ein durch Geburt (Adel) und Erfahrung angesehener
Mann gewählt wurde; später aber übernahm die Leitung der vom Herzog als
Gaubeamter bestellte Gra f. Er mußte während der ganzen Rechtshandlung mit
gekreuzten Beinen und einem Stab in der Hand sitzen; sein Stuhl stand dabei
auf einem Stein, der als eigenste Gerichtsſtatt galt und daher Plo dst ein
hieß’!)). Neben ihm saß als besondere baiwariſche Einrichtung der eigentliche
Richter mit dem Gesetzbuch. Er war der verantwortliche Rechts finder, er
mußte „loben oder schelten“ d. h. bestimmen, ob eine erhobene Klage gerecht-
fertigt, eine Gesetzbeſtimmung verletzt sei; er hatte auch die vorgeschriebene
Strafe auszuſprechen. Das Urteil selbſt fällte der U mstan d; das waren
sämtliche Freie des Gerichtsbezirkes, welche nach durchgeführter Verhandlung
durch Zusſtimmung zur Anschauung des Richters oder durch Ablehnung ſich als
wirkliche Rechts sprecher erwiesen. Ein gerichtliches Verfahren fand bloß auf
Klage hin statt; Kläger und Beklagter hatten beim Ding zu erscheinen. Als
Beweis galten, wenn eine Gicht (jenen 2 sagen), das Eingeständnis des
Beklagten, nicht vorlag, Urkunden und beeidete Zeugen. Von der Inzicht
(Anklage) konnte auch der Beklagte sich durch einen Eid reinigen. Ie nach
dem Wert der Sache. oder der Höhe der Strafe konnte er dazu | bis |2
E ideshelf er beiziehen, die durch ihren Schwur bloß ausdrückten, daß sie ihn
der Tat nicht fähig hielten. Auch den Zweikampf an Gerichtsstatt konnte er
anbieten. In der baiwariſchen Ewa war Todesstrafe (Hängen) nur für Herzogs-
mord und Landesverrat angesetzt; alle übrige Mein-Tat (Verbrechen), auch
Bluttat konnte durch das Wergel d'?) gebüßt werden. Dieses war eigentlich
eine Ablösung, damit die Sippe von der berechtigten Blutrache’) abstand, in

120
 
Annotationen