1805. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 1.
Kirchliche Alterthümer aus der St. Nikolaikirche in Rostock.
Mit 'S Abbildungen.
I. Grofser hölzerner Kruzifixus.
as älteste Schnitzbild der Nikolai-
kirche, das sich ehedem in einer
Nische des leider abgebrochenen
sogenannten Oktogon an der Nord-
seite der Kirche befand, ist jetzt an der Thurm-
mauer, links von der Orgel, angebracht. Es
ist eine an einem Kreuz stehende bärtige Gestalt,
etwas über Lebensgröfse, mit ausgestreckten
Armen; die Fiifse sind nackt und schräge ab-
wärts gestellt, wie wenn sie auf einem Tritt-
brett gestanden hätten.1; Bekleidet ist sie mit
einem langen weiten Rock, der vergoldet und
farbig gemustert ist. Es wird eines jener alten
Christusbilder sein, in denen die Figur wohl
die Körperhaltung des Gekreuzigten hatte, aber
an das Marterholz nicht angenagelt war, ent-
sprechend einer alten Anschauungs- und Dar-
stellungsweise, welche den Heiland in könig-
lichem Schmuck am Kreuze stehend, nicht an-
genagelt sehen wollte. Uebrigens sollen Fiifse
und Hände ehemals mit eisernen Ringen am
Kreuzbolz befestigt gewesen sein.2) „Christus
sieget", lautet die griechische Inschrift an einem
kleinen Metallkreuze mit dem so dargestellten
Christus im Kopenhagener Alterthumsmuseum
und an ganz ähnlichen in Oesterreich gefundenen
Denkmälern dieser Art. Die mit Blumen be-
malten Thiiren, welche ehedem die Nische im
alten Oktogon schlössen, sind in das Rostocker
Museum gebracht.
Bekleidete alte Kruzifixe bewahrt das Grofs-
herzogliche Museum aus den Kirchen zu
Tempzin bei Britel und Severin bei Sternberg.
Auch befindet sich noch heute ein solcher
Kruzifixus im Altarschrein der Kirche zu Retschow
bei Doberan. üb nun diese Bilder im späteren
Mittelalter als Bilder der Stinte Hülpe oder
auch der h. Kümmemifs verehrt wurden, deren
es auch in Norddeutschland einige gab 'man
denke an Diepholz bei Bremen), ist nicht zu
sagen. Fast könnte das Vorkommen derKümmer-
nifs als Wandbild in der Nikolaikirche zu
Rostock (s. u.) dazu verleiten, einen solchen
Kultus für Rostock anzunehmen und das vor-
stehend beschriebene Holzbild damit in Ver-
1) Das Trittbrett ist bei der Restauration wieder
angebracht worden.
2) Vgl. »Mecklenb. Jahrb.c XVIII, S. 207.
bindung zu bringen. Aber es fehlt an jeder
weiteren Ueberlieferung darüber. Dafs der Ge-
danke eines Sunte-Hülpe-Kultus in Mecklenburg
nicht fremd war, läfst sich nachweisen. Es hat
sich nämlich bei Grevismühlen eine Spur von
einer Sunte-Hülpe-Kapelle gefunden. (Vgl. Masch
„Beiträge zur Geschichte merkwürdiger Bücher",
2.Stück, 1769. »Mecklenb. Jb.« LVII,Q. 11,S. IG.)
II. Alte Wandgemälde.
Von den während der letzten Restauration
der Nikolaikirche zu Rostock während der Zeit
von 1890 bis 1893 unter der Tünche zum Vor-
schein gekommenen alten Wandgemälden sind
leider nicht mehr als zwei gerettet worden. Von
diesen befindet sich das eine, welches in drei
Abschnitte zerfällt, an der Wand des nördlichen
Seitenschiffes, das andere an der Westwand des
Gemeindehauses nordwärts von der Orgel. Die
beigegebenen Abbildungen machen eingehendere
Beschreibungen überflüssig.
Die Szene rechts in dem zuerst genannten
Bilde auf der Nordseite der Kirche ist die
Leidensunterhaltung zwischen Jesus und Maria
mit der Unterschrift:
Iftr |tt tjjefua mit ftner mober im hälfet
mit er im |me libeitbe op bett goben mtt-
nu'knt.3)
Das Spruchband des Heilandes trägt die Um-
schrift:
fd)al be menfelje bat eiuiajje lenent eruen
§ fo mot itk in bep'cn üben oor be menfdje
|terue.
Das Spruchband der Maria lautet:
bitte pine ün binc filterte § irjtl ik mit
bt bregbe t mine hte §
Oberhalb beider die Leidenswerkzeuge in
grofser Zahl.4)
8) kolsen = reden, goden milweken = Mittwoch
der Charwoche.
4) Alles, was sich rechts vom Kreuze befindet, war,
mit Ausnahme des Hahns, deutlich sichtbar und ver-
hältnifsmäfsig gut erhalten. Weniger gut das, was
sich links vom Kreuz befindet. Die Gewänder, Würfel-
becher und Würfel sind nach Wandbildern in anderen
Kirchen des Landes ergänzt, z. B. nach denen in Kalk-
horst bei Dassow. Von den drei Köpfen (Kaiphas,
Pilatus, Sadducäerf auch andere Köpfe kommen sonst
vor, vgl. das Bild Nr. 325 im Schweriner Museum)
war nur einer theilweise vorhanden. Die Sprüche
waren vollkommen erhalten.
Kirchliche Alterthümer aus der St. Nikolaikirche in Rostock.
Mit 'S Abbildungen.
I. Grofser hölzerner Kruzifixus.
as älteste Schnitzbild der Nikolai-
kirche, das sich ehedem in einer
Nische des leider abgebrochenen
sogenannten Oktogon an der Nord-
seite der Kirche befand, ist jetzt an der Thurm-
mauer, links von der Orgel, angebracht. Es
ist eine an einem Kreuz stehende bärtige Gestalt,
etwas über Lebensgröfse, mit ausgestreckten
Armen; die Fiifse sind nackt und schräge ab-
wärts gestellt, wie wenn sie auf einem Tritt-
brett gestanden hätten.1; Bekleidet ist sie mit
einem langen weiten Rock, der vergoldet und
farbig gemustert ist. Es wird eines jener alten
Christusbilder sein, in denen die Figur wohl
die Körperhaltung des Gekreuzigten hatte, aber
an das Marterholz nicht angenagelt war, ent-
sprechend einer alten Anschauungs- und Dar-
stellungsweise, welche den Heiland in könig-
lichem Schmuck am Kreuze stehend, nicht an-
genagelt sehen wollte. Uebrigens sollen Fiifse
und Hände ehemals mit eisernen Ringen am
Kreuzbolz befestigt gewesen sein.2) „Christus
sieget", lautet die griechische Inschrift an einem
kleinen Metallkreuze mit dem so dargestellten
Christus im Kopenhagener Alterthumsmuseum
und an ganz ähnlichen in Oesterreich gefundenen
Denkmälern dieser Art. Die mit Blumen be-
malten Thiiren, welche ehedem die Nische im
alten Oktogon schlössen, sind in das Rostocker
Museum gebracht.
Bekleidete alte Kruzifixe bewahrt das Grofs-
herzogliche Museum aus den Kirchen zu
Tempzin bei Britel und Severin bei Sternberg.
Auch befindet sich noch heute ein solcher
Kruzifixus im Altarschrein der Kirche zu Retschow
bei Doberan. üb nun diese Bilder im späteren
Mittelalter als Bilder der Stinte Hülpe oder
auch der h. Kümmemifs verehrt wurden, deren
es auch in Norddeutschland einige gab 'man
denke an Diepholz bei Bremen), ist nicht zu
sagen. Fast könnte das Vorkommen derKümmer-
nifs als Wandbild in der Nikolaikirche zu
Rostock (s. u.) dazu verleiten, einen solchen
Kultus für Rostock anzunehmen und das vor-
stehend beschriebene Holzbild damit in Ver-
1) Das Trittbrett ist bei der Restauration wieder
angebracht worden.
2) Vgl. »Mecklenb. Jahrb.c XVIII, S. 207.
bindung zu bringen. Aber es fehlt an jeder
weiteren Ueberlieferung darüber. Dafs der Ge-
danke eines Sunte-Hülpe-Kultus in Mecklenburg
nicht fremd war, läfst sich nachweisen. Es hat
sich nämlich bei Grevismühlen eine Spur von
einer Sunte-Hülpe-Kapelle gefunden. (Vgl. Masch
„Beiträge zur Geschichte merkwürdiger Bücher",
2.Stück, 1769. »Mecklenb. Jb.« LVII,Q. 11,S. IG.)
II. Alte Wandgemälde.
Von den während der letzten Restauration
der Nikolaikirche zu Rostock während der Zeit
von 1890 bis 1893 unter der Tünche zum Vor-
schein gekommenen alten Wandgemälden sind
leider nicht mehr als zwei gerettet worden. Von
diesen befindet sich das eine, welches in drei
Abschnitte zerfällt, an der Wand des nördlichen
Seitenschiffes, das andere an der Westwand des
Gemeindehauses nordwärts von der Orgel. Die
beigegebenen Abbildungen machen eingehendere
Beschreibungen überflüssig.
Die Szene rechts in dem zuerst genannten
Bilde auf der Nordseite der Kirche ist die
Leidensunterhaltung zwischen Jesus und Maria
mit der Unterschrift:
Iftr |tt tjjefua mit ftner mober im hälfet
mit er im |me libeitbe op bett goben mtt-
nu'knt.3)
Das Spruchband des Heilandes trägt die Um-
schrift:
fd)al be menfelje bat eiuiajje lenent eruen
§ fo mot itk in bep'cn üben oor be menfdje
|terue.
Das Spruchband der Maria lautet:
bitte pine ün binc filterte § irjtl ik mit
bt bregbe t mine hte §
Oberhalb beider die Leidenswerkzeuge in
grofser Zahl.4)
8) kolsen = reden, goden milweken = Mittwoch
der Charwoche.
4) Alles, was sich rechts vom Kreuze befindet, war,
mit Ausnahme des Hahns, deutlich sichtbar und ver-
hältnifsmäfsig gut erhalten. Weniger gut das, was
sich links vom Kreuz befindet. Die Gewänder, Würfel-
becher und Würfel sind nach Wandbildern in anderen
Kirchen des Landes ergänzt, z. B. nach denen in Kalk-
horst bei Dassow. Von den drei Köpfen (Kaiphas,
Pilatus, Sadducäerf auch andere Köpfe kommen sonst
vor, vgl. das Bild Nr. 325 im Schweriner Museum)
war nur einer theilweise vorhanden. Die Sprüche
waren vollkommen erhalten.