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Zeitschrift für christliche Kunst — 26.1913

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Heft 1/2
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Witte, Fritz: Unsere Aufgaben: Ein offenes Wort über die kirchliche Kunst an Klerus und Laien
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https://doi.org/10.11588/diglit.4358#0019

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1913. _ ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr.1/2.

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Abb. 6. Frontansicht zu Abb. 5.

griffen. Wenn wir den Neugotikern etwas
aufs Schuldkonto setzen wollen, dann ver-
leumden wir sie nicht, wenn wir einzelnen
von ihnen den Vorwurf machen, daß sie die
aus „ihrem" Stile abgelesenen Gesetze gar
zu sehr verallgemeinerten und die kirch-
liche Kunst einer bedenklich werdenden
Verknöcherung entgegenführten, indem sie
in dem Glauben, kein anderer Stil habe mit
gleicher Konsequenz ästhetische Grundge-
setze gepflegt, den Gedanken an die Mög-
lichkeit eines neuen Zeitstiles nicht einmal
aufkommen ließen. Sie ließen sogar die
Mannigfaltigkeit in den Werken' ihrer ver-

ehrten Altvorderen aus dem Auge,
klammerten sich an einzelne Groß-
werke der Baukunst, an einzelne
Schulen und Zeitabschnitte der Malerei
und Plastik, und hier sagte ihnen
durchweg das am meisten zu, und das
ahmten sie nach, was formal am reich-
sten gestaltet war und stilistisch zu-
sammenfiel mit der Blütezeit des go-
tischen Stiles. Das war gefährlich;
und die Folgen sehen wir heute
klarer: die formalen Eigentümlich-
keiten eines Stiles wurden als die
Hauptsache betrachtet, als die tüch-
tigsten Künstler galten vielfach die,
welche es in den gotischen Krabben-,
Blumen-, Ranken-, Maßwerknachbil-
dungen zu einer ganz kahlen leblosen
Virtuosität gebracht hatten. Das ließ
man vielfach außer acht, daß jedes
Detail des Schmuckes aus der Kon-
struktion herauswachsen, mit ihr
verwachsen und eins' sein, und daß
es vornehmlich aus dem Gedanken
der Zweckbestimmung hervorgehen
müsse. An die Stelle abgeklärten
Künstlertumes trat das Virtuosentum,
an die Stelle bescheidener Wahr-
haftigkeit trat die hohle Phrase. Daß
dem so war, daß dem heute noch so
ist, schwarz auf weiß bekennen es
die sogenannten kirchlichen Künst-
ler bzw. Kunstanstalten, die in den
Tagesblättern selbstbewußt versichern,
daß sie bereit und imstande seien,
„in jeder gewünschten Stilart" die
Kirchen auszuschmücken. Und sie
werden es schreiben, solange es noch
Geistliche gibt, die darauf hereinfallen
und die Arbeit eines Künstlers in ver-
schiedenen Stilen ernsthaft für möglich
halten. Kopieren ist kein künstlerisches
Schaffen, einige Rundbogen und umge-
schlagene Blattlappen machen noch längst
nicht den romanischen, einige kecke
Rankenverschlingungen, Spitzbogen, Fialen
usf. noch nicht den gotischen Stil aus,
das sei betont! Man finde aber in diesen
herben Worten vor allem nicht einen alles
verbrennen wollenden Radikalismus! Wir
verweisen auf Abb. 2 und 3. Die Gotiker
werden uns verlachen, wenn wir das Dar-
gebotene an dieser Stelle als gut be-
 
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