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1913. _ ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 5.
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Einige Gedanken über den Kirchenbau im westlichen Industriegebiet.
n den schnellwachsenden Industrie-
gemeinden drängten sich die Auf-
gaben auf allen Gebieten des
kommunalen Lebens. Rasche Be-
friedigung, oft der notwendigsten Bedürfnisse,
ließ gar nicht zur Überlegung kommen. Erst
in neuerer Zeit ist es möglich geworden, bei
der Ausgestaltung des kommunalen Wirt-
schafts- und Kulturlebens mit einer gewissen
Planmäßigkeit und Zielsicherheit höhere Ge-
sichtspunkte als nur die der nackten augen-
blicklichenBedürfnisbefriedigungmitsprechen
zu lassen.
Eine Industriestadt - K u 11 u r im besten
Sinne des Wortes beginnt in wachsendem
Maße sich zu entfalten.
Wir stehen den sich überstürzenden Tat-
sachen kommunaler Entwicklung nicht mehr
so ungerüstet gegenüber wie früher. Das
gilt namentlich auch für das vielleicht wich-
tigste Gebiet des Kulturlebens der Gemeinde,
das religiöse.
Hier traten und treten noch jetzt Auf-
gaben an die kirchliche Behörde heran, die
gewaltige Kräfteanstrengung erfordern. Diese
Aufgaben sind aber auch ganz anders ge-
artet als die bisherigen, und zwar trifft das
sowohl für die Organisation des kirchlichen
Lebens -zu, als auch ganz besonders für die
Schaffung eines kirchlichen Mittelpunktes,
des kirchlichen Gebäudes.
Im Anfange galt es, nur möglichst schnell
und mit unzulänglichen Mitteln der ärgsten
Not auf diesem Gebiete zu steuern: das
Resultat dieses Notschaffens war aber auch
weder in technischer noch kirchlich-
organisatorischer, noch in baukünst-
lerischer Beziehung ein erfreuliches. Eine
gewisse Vertrautheit mit den neuen großen
Aufgaben und ein Besinnen darauf, daß
unsere Zeit doch auch im Kirchenbau tech-
nisch, kirchlich-organisatorisch und künst-
lerisch etwas Besonderes zu sagen habe,
führte zu einer ganz anderen Auffassung von
den Aufgaben, die ein Kirchenbaumeister
im Industriegebiet zu lösen hat.
Inwiefern hier von ganz anderen Auf-
gaben gesprochen werden kann wie bisher,
soll im folgenden mit ein paar Worten an-
gedeutet werden.
Zunächst sind es technische Fragen, die
i eine vorzügliche Berücksichtigung verlangen.
Der im Industriegebiet betriebene Bergbau
mahnt zu weitgehenden Vorsichtsmaßregeln.
Schon bei der. Planbearbeitung ist darauf
von vornherein Rücksicht zu nehmen: der
entwerfende Architekt muß auf leichte Ge-
staltung der verschiedenen Bauteile sehen
und einzelne Bauglieder vom Hauptbau
trennen, je nach Inanspruchnahme der Trag-
konstruktion auf Druck und Zug. Als Bei-
spiel sei die Lagegebung des Turmes ge-
wählt. Nicht immer ist es dem schaffenden
Künstler möglich, den Wünschen des Bau-
herrn in bezug auf Stellung des Turmes
nachzukommen. Manche Bauherren finden
das Ideal bezüglich Stellung des Turmes in
einer Anordnung, die ihn entweder in der
Achse des Hauptschiffes oder über dem
Chor oder in der Vierung zeigt. Bei Kirchen-
neubauten im Bergbaugebiet ist eine solche
Lösung oft mit den größten technischen
Schwierigkeiten verknüpft. Man möge also
einen Entwurf, der den Turm seitwärts, ge-
trennt vom Hauptkörper, anordnet, nicht
gleich als „modern" stempeln oder gar als
eine Nachahmung des evangelischen Kirchen-
baues bezeichnen. In den meisten Fällen
ist der an die Zukunft denkende Baumeister
also schon aus rein technischen Gründen
gezwungen, den Turm anders, wie sonst
üblich, zu stellen. Selbstverständlich haben
auch künstlerische Gesichtspunkte hier An-
spruch auf Berücksichtigung, doch kann
man die Erfahrung machen, daß eine reine
oder vorzugsweise technische Lösung meist
künstlerisch bessere Ergebnisse zutage fördert,
als umgekehrt: die Nichtbeachtung tech-
nischer Bedingungen rächt sich auch in
künstlerischer Beziehung. Eine Zeitlang galt
z. B. von einem gewissen laienhaften künst-
lerischen Standpunkte aus eine Haustein-
bekleidung der Außenfronten als unbedingt
erforderlich für einen Kirchenbau. Wie sehr
aber dieser äußere Baustoff im Industrie-
gebiet versagt hat, weiß jeder, der so be-
handelte Kirchen dort gesehen hat. Nun
kann allerdings in bezug hierauf kein all-
gemein gültiges Gesetz aufgestellt werden,
die besonderen Umstände, z. B. geschütztere
Lage oder größere finanzielle Mittel, ver-
1913. _ ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 5.
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Einige Gedanken über den Kirchenbau im westlichen Industriegebiet.
n den schnellwachsenden Industrie-
gemeinden drängten sich die Auf-
gaben auf allen Gebieten des
kommunalen Lebens. Rasche Be-
friedigung, oft der notwendigsten Bedürfnisse,
ließ gar nicht zur Überlegung kommen. Erst
in neuerer Zeit ist es möglich geworden, bei
der Ausgestaltung des kommunalen Wirt-
schafts- und Kulturlebens mit einer gewissen
Planmäßigkeit und Zielsicherheit höhere Ge-
sichtspunkte als nur die der nackten augen-
blicklichenBedürfnisbefriedigungmitsprechen
zu lassen.
Eine Industriestadt - K u 11 u r im besten
Sinne des Wortes beginnt in wachsendem
Maße sich zu entfalten.
Wir stehen den sich überstürzenden Tat-
sachen kommunaler Entwicklung nicht mehr
so ungerüstet gegenüber wie früher. Das
gilt namentlich auch für das vielleicht wich-
tigste Gebiet des Kulturlebens der Gemeinde,
das religiöse.
Hier traten und treten noch jetzt Auf-
gaben an die kirchliche Behörde heran, die
gewaltige Kräfteanstrengung erfordern. Diese
Aufgaben sind aber auch ganz anders ge-
artet als die bisherigen, und zwar trifft das
sowohl für die Organisation des kirchlichen
Lebens -zu, als auch ganz besonders für die
Schaffung eines kirchlichen Mittelpunktes,
des kirchlichen Gebäudes.
Im Anfange galt es, nur möglichst schnell
und mit unzulänglichen Mitteln der ärgsten
Not auf diesem Gebiete zu steuern: das
Resultat dieses Notschaffens war aber auch
weder in technischer noch kirchlich-
organisatorischer, noch in baukünst-
lerischer Beziehung ein erfreuliches. Eine
gewisse Vertrautheit mit den neuen großen
Aufgaben und ein Besinnen darauf, daß
unsere Zeit doch auch im Kirchenbau tech-
nisch, kirchlich-organisatorisch und künst-
lerisch etwas Besonderes zu sagen habe,
führte zu einer ganz anderen Auffassung von
den Aufgaben, die ein Kirchenbaumeister
im Industriegebiet zu lösen hat.
Inwiefern hier von ganz anderen Auf-
gaben gesprochen werden kann wie bisher,
soll im folgenden mit ein paar Worten an-
gedeutet werden.
Zunächst sind es technische Fragen, die
i eine vorzügliche Berücksichtigung verlangen.
Der im Industriegebiet betriebene Bergbau
mahnt zu weitgehenden Vorsichtsmaßregeln.
Schon bei der. Planbearbeitung ist darauf
von vornherein Rücksicht zu nehmen: der
entwerfende Architekt muß auf leichte Ge-
staltung der verschiedenen Bauteile sehen
und einzelne Bauglieder vom Hauptbau
trennen, je nach Inanspruchnahme der Trag-
konstruktion auf Druck und Zug. Als Bei-
spiel sei die Lagegebung des Turmes ge-
wählt. Nicht immer ist es dem schaffenden
Künstler möglich, den Wünschen des Bau-
herrn in bezug auf Stellung des Turmes
nachzukommen. Manche Bauherren finden
das Ideal bezüglich Stellung des Turmes in
einer Anordnung, die ihn entweder in der
Achse des Hauptschiffes oder über dem
Chor oder in der Vierung zeigt. Bei Kirchen-
neubauten im Bergbaugebiet ist eine solche
Lösung oft mit den größten technischen
Schwierigkeiten verknüpft. Man möge also
einen Entwurf, der den Turm seitwärts, ge-
trennt vom Hauptkörper, anordnet, nicht
gleich als „modern" stempeln oder gar als
eine Nachahmung des evangelischen Kirchen-
baues bezeichnen. In den meisten Fällen
ist der an die Zukunft denkende Baumeister
also schon aus rein technischen Gründen
gezwungen, den Turm anders, wie sonst
üblich, zu stellen. Selbstverständlich haben
auch künstlerische Gesichtspunkte hier An-
spruch auf Berücksichtigung, doch kann
man die Erfahrung machen, daß eine reine
oder vorzugsweise technische Lösung meist
künstlerisch bessere Ergebnisse zutage fördert,
als umgekehrt: die Nichtbeachtung tech-
nischer Bedingungen rächt sich auch in
künstlerischer Beziehung. Eine Zeitlang galt
z. B. von einem gewissen laienhaften künst-
lerischen Standpunkte aus eine Haustein-
bekleidung der Außenfronten als unbedingt
erforderlich für einen Kirchenbau. Wie sehr
aber dieser äußere Baustoff im Industrie-
gebiet versagt hat, weiß jeder, der so be-
handelte Kirchen dort gesehen hat. Nun
kann allerdings in bezug hierauf kein all-
gemein gültiges Gesetz aufgestellt werden,
die besonderen Umstände, z. B. geschütztere
Lage oder größere finanzielle Mittel, ver-