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1913. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 5.
144
Aber auch gemäß der dritten Bitte des
göttlichen Greises befahl er, inmitten
der heiligen Stadt ein Nosokomium
zu gründen, zuerst nämlich für ioo Betten,
und überwies ihm ein jährliches bares Ein-
kommen von 1850 Solidi, später aber befahl
er, dieses Krankenhaus für 200 Betten her-
zustellen, und fügte ebensoviel Einkommen
an barem und nicht trügerischem Gelde
hinzu. Großen Eifer entfaltete er auch für
die vierte Forderung des Greises, und er
schickte Baumeister Theodor nach Jerusalem,
welcher die neue Kirche der heiligen Gottes-
gebärerin und immerwährenden Jungfrau
erbauen sollte, und befahl den Beamten
Palästinas, Gold für den Bau zu geben.
Dabei übertrug er dem Erzbischof Peter
in dieser Sache den Vorsitz, dem Bischof der
Bacather aber, Barach, machte er zum Vor-
gesetzten des Baues. Und so wurde die
Kirche mit vielen Leuten und Fleiß in einem
Zeitraum von 12 Jahren für die hochgelobte
Jungfrau erbaut und mit aller Zier aus-
gestattet. Die Größe dieses bewunderungs-
werten Gebäudes und den strahlenden Glanz
und die Großartigkeit der Verzierungen zu
beschreiben, ist überflüssig, da sie vor unseren
Augen stehen und alle alten Sehenswürdig-
keiten übertreffen, welche die Menschen be-
wundern und die Griechen, wie die Geschichte
erzählt, hinterließen."
Trotzdem die Erzählung Prokops mit
der Cyrills übereinstimmt und sich beide
Berichte gegenseitig ergänzen, glaubte Gilde-
meister, Prokops Beschreibung in das Reich
der Fabel verweisen zu müssen, denn sonst
war die Hauptsache seiner eigenen Ansichten
nicht richtig. Er schreibt"):
„Aber gegen diese Folgerung, daß kein
Gebäude auf der Area vorhanden gewesen,
wird die Justinianische Theotokos- oder
Neue Kirche geltend gemacht, welche die
Stelle der heutigen Aksa-Moschee eingenom-
men habe. Insoweit befinde ich mich in
voller Übereinstimmung mit Herrn Sepp,
p. 63, und früheren, z. B. Tobler, Topogr. I,
581, wenn ich diese in das Reich
der Träume zu verweisen mich
genötigt sehe. Procbpius kann nie
in Jerusalem gewesen sein, dessen Bild er
*) »Zeitschrift des Deutschen Palästina-Vereins« 1890,
S. 12. (Gildemeister, »Die arabischen Nachrichten
zur Geschichte der Harambauten«.)
ganz falsch auffaßt, wenn er das erbaute
Heiligtum als auf dem höchsten Punkt der
Stadt liegend bezeichnet. Er hat von dem
Salomonischen Bau, und zwar mehr aus der
Sage als aus dem Texte, gehört, und dieser
ist es, den er eigentlich beschreibt, und zwar
als Schmeichler des Kaisers, der Salomos
Bauten zu übertreffen sich vorsetzte.
Für das mit der neuen Theotokos-Kirche
eng verbundene (Procop. de aedif. V, 6 am
Ende) Doppelhospital haben wir das aus-
drückliche Zeugnis des Zeitgenossen und
Ortskundigen Cyrillus (Vita Sabae bei Cote-
lier. Eccl. gr. monum. III, 1686, p. 343), daß
es ev zi~> nici(j> irtg äyiag ndXeaig (in der Mitte
der heiligen Stadt) lag. Außerdem dient zur
vollen Widerlegung das dem neunten Jahr-
hundert angehörende sog. Commemoratorium
de casis dei, welches als offizielle Aufzeich-
nung vollen Glauben verdient. Wenn es in
diesem heißt: In s. Maria Nova, quod (quam)
Justinianus Imp. exstruxit, XII (clerici),
so hat die noch in muslimischer Zeit exi-
stierende Neue Kirche Justinians, also nicht
auf der Haramarea, die der Islam besetzt
hielt, liegen können."
Nun steht aber bei Prokop gar nichts
davon, daß das Heiligtum auf dem höchsten
Punkt der Stadt gelegen habe. Der be-
treffende Satz lautet: „endcisXXt yuQ avio'
'IovotivKtvog ßuatXtvg iv t([i tiqov^ovji. yeveo9iu
llilV AJf/>£OJ'."
Das heißt „am Hervorspringen der Hügel",
also an der Wurzel, am Abhang derselben,
wo sie aus der Erde herausspringen. Aller-
dings steht in der lateinischen Übersetzung,
welche der Bonner Ausgabe des griechischen
Textes10) beigefügt ist: „Id enim iussit in
colle omnium editissimo statui."
Diese Übersetzung scheint Gildemeister
vor sich gehabt zu haben; obgleich auch da
nichts vom höchsten Punkt der Stadt
steht. Daß sie aber unrichtig ist, zeigt über-
dies die gesamte Erzählung Prokops vor
und hinter diesem Satz, welche lang und breit
auseinandersetzt, daß der Bauplatz zum Teil
am Fuß des Hügels lag, daß ein Viertel der
Kirche sogar in der Luft schwebt, und zwar
gerade der Altarraum an der Südostecke
mit seinem Zubehör. (Schluß folgt.)
Berlin-Grunewald. Max Hasak.
10) »Corpus scriptorum historiae Byzantinae.«
Paris II Procopius Vol. III. Bonn 1836, S. 321.
1913. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 5.
144
Aber auch gemäß der dritten Bitte des
göttlichen Greises befahl er, inmitten
der heiligen Stadt ein Nosokomium
zu gründen, zuerst nämlich für ioo Betten,
und überwies ihm ein jährliches bares Ein-
kommen von 1850 Solidi, später aber befahl
er, dieses Krankenhaus für 200 Betten her-
zustellen, und fügte ebensoviel Einkommen
an barem und nicht trügerischem Gelde
hinzu. Großen Eifer entfaltete er auch für
die vierte Forderung des Greises, und er
schickte Baumeister Theodor nach Jerusalem,
welcher die neue Kirche der heiligen Gottes-
gebärerin und immerwährenden Jungfrau
erbauen sollte, und befahl den Beamten
Palästinas, Gold für den Bau zu geben.
Dabei übertrug er dem Erzbischof Peter
in dieser Sache den Vorsitz, dem Bischof der
Bacather aber, Barach, machte er zum Vor-
gesetzten des Baues. Und so wurde die
Kirche mit vielen Leuten und Fleiß in einem
Zeitraum von 12 Jahren für die hochgelobte
Jungfrau erbaut und mit aller Zier aus-
gestattet. Die Größe dieses bewunderungs-
werten Gebäudes und den strahlenden Glanz
und die Großartigkeit der Verzierungen zu
beschreiben, ist überflüssig, da sie vor unseren
Augen stehen und alle alten Sehenswürdig-
keiten übertreffen, welche die Menschen be-
wundern und die Griechen, wie die Geschichte
erzählt, hinterließen."
Trotzdem die Erzählung Prokops mit
der Cyrills übereinstimmt und sich beide
Berichte gegenseitig ergänzen, glaubte Gilde-
meister, Prokops Beschreibung in das Reich
der Fabel verweisen zu müssen, denn sonst
war die Hauptsache seiner eigenen Ansichten
nicht richtig. Er schreibt"):
„Aber gegen diese Folgerung, daß kein
Gebäude auf der Area vorhanden gewesen,
wird die Justinianische Theotokos- oder
Neue Kirche geltend gemacht, welche die
Stelle der heutigen Aksa-Moschee eingenom-
men habe. Insoweit befinde ich mich in
voller Übereinstimmung mit Herrn Sepp,
p. 63, und früheren, z. B. Tobler, Topogr. I,
581, wenn ich diese in das Reich
der Träume zu verweisen mich
genötigt sehe. Procbpius kann nie
in Jerusalem gewesen sein, dessen Bild er
*) »Zeitschrift des Deutschen Palästina-Vereins« 1890,
S. 12. (Gildemeister, »Die arabischen Nachrichten
zur Geschichte der Harambauten«.)
ganz falsch auffaßt, wenn er das erbaute
Heiligtum als auf dem höchsten Punkt der
Stadt liegend bezeichnet. Er hat von dem
Salomonischen Bau, und zwar mehr aus der
Sage als aus dem Texte, gehört, und dieser
ist es, den er eigentlich beschreibt, und zwar
als Schmeichler des Kaisers, der Salomos
Bauten zu übertreffen sich vorsetzte.
Für das mit der neuen Theotokos-Kirche
eng verbundene (Procop. de aedif. V, 6 am
Ende) Doppelhospital haben wir das aus-
drückliche Zeugnis des Zeitgenossen und
Ortskundigen Cyrillus (Vita Sabae bei Cote-
lier. Eccl. gr. monum. III, 1686, p. 343), daß
es ev zi~> nici(j> irtg äyiag ndXeaig (in der Mitte
der heiligen Stadt) lag. Außerdem dient zur
vollen Widerlegung das dem neunten Jahr-
hundert angehörende sog. Commemoratorium
de casis dei, welches als offizielle Aufzeich-
nung vollen Glauben verdient. Wenn es in
diesem heißt: In s. Maria Nova, quod (quam)
Justinianus Imp. exstruxit, XII (clerici),
so hat die noch in muslimischer Zeit exi-
stierende Neue Kirche Justinians, also nicht
auf der Haramarea, die der Islam besetzt
hielt, liegen können."
Nun steht aber bei Prokop gar nichts
davon, daß das Heiligtum auf dem höchsten
Punkt der Stadt gelegen habe. Der be-
treffende Satz lautet: „endcisXXt yuQ avio'
'IovotivKtvog ßuatXtvg iv t([i tiqov^ovji. yeveo9iu
llilV AJf/>£OJ'."
Das heißt „am Hervorspringen der Hügel",
also an der Wurzel, am Abhang derselben,
wo sie aus der Erde herausspringen. Aller-
dings steht in der lateinischen Übersetzung,
welche der Bonner Ausgabe des griechischen
Textes10) beigefügt ist: „Id enim iussit in
colle omnium editissimo statui."
Diese Übersetzung scheint Gildemeister
vor sich gehabt zu haben; obgleich auch da
nichts vom höchsten Punkt der Stadt
steht. Daß sie aber unrichtig ist, zeigt über-
dies die gesamte Erzählung Prokops vor
und hinter diesem Satz, welche lang und breit
auseinandersetzt, daß der Bauplatz zum Teil
am Fuß des Hügels lag, daß ein Viertel der
Kirche sogar in der Luft schwebt, und zwar
gerade der Altarraum an der Südostecke
mit seinem Zubehör. (Schluß folgt.)
Berlin-Grunewald. Max Hasak.
10) »Corpus scriptorum historiae Byzantinae.«
Paris II Procopius Vol. III. Bonn 1836, S. 321.